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Lost Places fotografieren: Den Verfall einfangen

Verlassene Hotels, die gruselige alte Nervenklinik oder Omas leerstehender Bauernhof: Lost Places strahlen einen ganz besonderen Reiz aus. Wir zeigen, wir Ihr sie optimal in Szene setzen könnt.

Lost Places sind verlassene Gebäude, die dem Verfall preisgegeben wurden. Inzwischen ist es beliebter Sport, solche Orte zu finden und zu fotografieren. Echte „Urban Explorer“ oder „Urbexer“, wie sich die Lost-Place-Fans nennen, versuchen übrigens, alles im vorgefundenen Zustand zu belassen. Anders als die allgegenwärtigen Vandalen, die Dinge mitnehmen, Stromleitungen herausreißen und Graffitis hinterlassen, wollen Urbexer vor allem fotografieren und die melancholische Stimmung dieser Orte einfangen. Falls auch Ihr einen Lost Place kennt und besucht, wollt Ihr das womöglich auch. Wir zeigen Euch, wie Ihr tolle Lost-Place-Fotos schießen könnt.

Lost Places finden

Wenn Euch ein Lost Place nicht ohnehin ins Auge sticht, gibt es mehrere Möglichkeiten, verlassene Gebäude aufzuspüren. Couchkartoffeln recherchieren in Urbexer-Foren, allerdings sind die Infos dort einerseits vielen bekannt und andererseits auch oft relativ alt. Neuere Objekte findet Ihr vor allem durch Beobachtung der Tagespresse: Wurde ein Werk, Hotel oder Krankhaus aufgegeben? Ansonsten sind Suchbegriffe wie „alte Fabrik“, „verlassenes Werk“ oder „Wüstung“ in Kombination mit der Gegend, in der Ihr sucht, hilfreich.

Zuguterletzt könnt Ihr natürlich auch selbst die Augen offen halten. Gerade Gegenden mit Bevölkerungsschwund oder ehemals industrialisierte Landstriche, die vom Strukturwandel getroffen sind, sind oft wahre Fundgruben für verlassene Gebäude. Ansonsten könnt Ihr auch einfach selbst durch ländliche Gebiete streifen, die Satelliten-Ansicht von Google Maps bemühen und einfach in der Gegend herumfahren.

Leider schreitet der Verfall durch Vandalismus oft schnell fort. (Foto: C. Rentrop)
Leider schreitet der Verfall durch Vandalismus oft schnell fort. (Foto: C. Rentrop)

Leider sind Liegenschaften in Deutschland oft stark gesichert, zudem gab es in den letzten Jahren im urbanen Raum eher Bevölkerungswachstum, wodurch sich vielerorts der Leerstand aufgelöst hat und interessante Objekte hochpreisigen Eigentumswohnungen weichen mussten.

Vorab: Warnhinweise für die Lost-Place-Fotografie

Zunächst noch einige Warnhinweise, die Euch als frischgebackene Urbexer vor Schaden bewahren sollten. Beachtet sie bitte, andernfalls müsst Ihr mit den Konsequenzen rechnen. Und die sind im Zweifel nicht ohne!

  • Die sogenannten Lost Places sind zwar verlassen und vernachlässigt – öffentliche Orte sind sie deshalb nicht! Wer einen Lost Place besucht, ohne den Eigentümer zu fragen, begeht immer einen Hausfriedensbruch.
  • Das bedeutet auch, dass Ihr, falls Ihr erwischt werdet, durchaus belangt werden könnt. Und dass erhebliche Geldstrafen drohen.
  • Trotz der Vernachlässigung achten übrigens viele Eigentümer darauf, ihre Liegenschaften aus Versicherungsgründen zu zu sperren. Erspart den Eigentümern Ärger und verschafft Euch nicht Zutritt zu gesperrten Gebäuden.
  • Lost Places sind unfallträchtig: Es gibt oft scharfkantige
    Stolperfallen, marode Bodenbretter und Treppen oder tiefe Löcher, in die Ihr fallen könnt: Testet die Böden, tragt lange Hosen und feste Schuhe.
  • Geht nie alleine in verlassene Gebäude. Wenn Ihr fallt oder Euch verletzt, muss Euch jemand helfen können.
  • Nehmt ein Handy mit, damit Ihr notfalls Hilfe holen könnt. Und achtet darauf, dass Ihr auch Empfang habt.
  • Gerade in städtischen Lost-Places treiben sich nicht selten halbseidene Gestalten herum, für die eine teure Kamera genau die richtige Budget-Aufbesserung ist. Falls Ihr Leute seht oder hört, solltet Ihr ausweichen.
  • Wenn Euch etwas unsicher erscheint: Vergesst das Motiv und riskiert keinen Unfall auf einer wackligen Leiter oder einem morschen Brett.
  • Keine Warnung, aber ein Tipp: Hinterlasst alles, wie Ihr es vorgefunden habt. Nehmt nichts mit (Diebstahl!) und macht nichts kaputt (Vandalismus!). Andere Lost-Place-Fotografen werden es Euch danken.
Lasst die Finger von gesicherten Immobilien (Foto: C. Rentrop)
Lasst die Finger von gesicherten Immobilien (Foto: C. Rentrop)

Die richtige Kamera wählen

Wenn Ihr die besondere Stimmung eines Lost Places einfangen möchtet, gibt es eine Kamera, auf die Ihr getrost verzichten könnt: Euer Smartphone. Klar, inzwischen gibt es mit dem iPhone 11 samt Night Mode durchaus Smartphone-Kameras, die auch bei schlechtem Licht arbeiten, aber… ne.

Greift lieber zu einer richtigen Knipse: Mindestens 1-Zoll-Sensor, die am besten eine hohe Anfangslichtstärke von mindestens ƒ=2.8 besitzt. Neben Spiegelreflex- und Systemkameras mit lichtstarken Festbrennweiten sind zum Beispiel auch Edelkompakte wie die Kameras aus der Sony-RX-Serie gut als Kamera für die Lost-Place-Fotografie geeignet.

Eine gute Kamera kann die schweren Lichtverhältnisse von Lost Places gut einfangen. (Foto: C. Rentrop)
Eine gute Kamera kann die schweren Lichtverhältnisse von Lost Places gut einfangen. (Foto: C. Rentrop)

RAW-Modus aktivieren

Auch wenn es Platz frisst: Wenn Ihr in Umgebungen mit enormen Kontrasten – und das ist bei finsteren Lost-Places mit hellen Fensteröffnungen oder Löchern in der Decke – fotografiert, ist es sinnvoll, den RAW-Modus zu aktivieren. Denn die Kamera-Automatik, die die JPEGs berechnet, kommt in solchen Situationen schnell ins Stolpern. Das Resultat sind im schlimmsten Fall völlig fehlbelichtete Fotos. Mit RAW könnt Ihr später am Rechner noch einiges Herausholen, was im JPEG-Format gnadenlos verloren gegangen wäre.

Mit RAW könnt Ihr aus so einem Bild viel herausholen (Foto: C. Rentrop)
Mit RAW könnt Ihr aus so einem Bild viel herausholen (Foto: C. Rentrop)

Stativ einsetzen und ISO runter

Die oft kuriose Lichtsituation und der nicht immer ganz legale Aufenthalt in Lost Places sorgen dafür, dass so mancher Fotograf seine Bilder lieber mit offener Blende und hohen ISO-Werten schnell aus der freien Hand schießt. Das ist allerdings oft kontraproduktiv: Einerseits sind solche Bilder später rauschig, andererseits garantieren hohe ISO-Werte nicht zwangsläufig lichtstärkere Bilder.

Schlimmer noch: Helle Bereiche werden bei der Kombi hoher ISO-Wert und längere Belichtungszeit gnadenlos überbelichtet und die offene Blende ist auch nicht immer gut gewählt, weil viele Objektive hier gewisse Unschärfen aufweisen. Es ist also sinnvoller, sich Zeit zu nehmen und die Kamera auf ein kompaktes Stativ zu setzen.

(* = Affiliate-Link / Bildquelle: Amazon-Partnerprogramm)

Mit ISO-Werten von 100-400, einer bei den meisten Objektiven brauchbaren Blende von ƒ=4, entsprechend langer Belichtungszeit und einem Fernauslöser fangt Ihr viel mehr von dem Lost Place auf, als Ihr beim Freihand-Foto einfangen würdet. Positiver Nebeneffekt: Ihr müsst Euch ein bisschen mehr mit dem Motiv befassen und das wiederum sorgt vielleicht schon von sich aus für interessante Motivwahl als die Freihand-Knipserei.

Hier kam leider kein Stativ zum Einsatz (Foto: C. Rentrop)
Hier kam leider kein Stativ zum Einsatz (Foto: C. Rentrop)

HDR nutzen

Eine schöne Möglichkeit, Lost-Places optimal in Szene zu setzen, ist der Einsatz von HDR-Fotos. Dabei werden drei Fotos geschossen: Eines über-, eines unterbelichtet sowie eines mit „normaler“ Belichtung. Anschließend wird diese Belichtungsreihe mit Software am Rechner zusammengesetzt. Der HDR-Effekt wird oft übertrieben eingesetzt, hat aber in der Praxis einen Vorteil: Durch die Unterbelichtung werden Details in sehr hellen Bildbereichen sichtbar, durch die Überbelichtung Details in dunklen Bereichen.

Manche Kameras können solche Belichtungsreihen automatisch erstellen, Ihr müsst die Funktion nur vorher einstellen. Falls Ihr das vergessen habt, ist das aber auch nicht schlimm: Aus einer gut belichteten RAW-Datei könnt Ihr sowohl die über- als auch unterbelichtete Version generieren und so gegebenenfalls den HDR-Effekt nachträglich erzielen.

Manche Lost-Places – wie hier die Schiffe im Hafen von Camaret-sur-mer in der Bretagne – sind mehr oder weniger öffentlich zugänglich. Mit HDR wirken sie gleich noch interessanter. (Foto: C. Rentrop)
Manche Lost-Places – wie hier die Schiffe im Hafen von Camaret-sur-mer in der Bretagne – sind mehr oder weniger öffentlich zugänglich. Mit HDR wirken sie gleich noch interessanter. (Foto: C. Rentrop)

Details statt Totale

Es gibt in Lost Places viel zu sehen. Meistens sind es jedoch die Details, die den Verfall deutlicher machen, als Totalen. Wenn ein Raum imposant ist, spricht natürlich nichts dagegen. Doch ein zerbrochener Stuhl, ein umgeworfenes Telefon oder ein verfaulter Vorhang sind aus Sicht der Verfalls-Fotografie sicher die interessanteren Motive, da sie den Verfall im Detail zeigen. Ihr könnt bei solchen Bildern natürlich auch die Blende kreativ einsetzen: Je offener, desto unschärfer ist der Hintergrund. Je nachdem, wie das Motiv erscheint, kann das für zusätzliche Bildwirkung sorgen.

Manchmal sagen Details mehr als Totalen (Foto: C. Rentrop)
Manchmal sagen Details mehr als Totalen (Foto: C. Rentrop)

In der Ruhe liegt die Kraft

Zuguterletzt ein logistischer Hinweis: Nehmt nur mit, was Ihr wirklich braucht. Ihr müsst keinen Objektivpark mitschleppen und auch Blitzgeräte sind völlig überflüssig. Was Ihr braucht, ist Eure Kamera mit einer guten Normalbrennweite, am besten als Festbrennweiten-Objektiv im Bereich von 16-50mm je nach Crop-Faktor Eurer Kamera.

Zur Not tut es aber auch das Kit-Objektiv ohne Zoom. Zusätzlich benötigt Ihr natürlich ein Stativ. Die Fernauslösung könnt Ihr bei modernen Kameras mit der Handy-App durchführen, dafür benötigt Ihr kein zusätzliches Gerät. Am sinnvollsten sind übrigens Stative wie der Gorilla-Pod: Diese können nicht nur im Stand benutzt werden, sondern auch an Objekten befestigt werden, um interessante Perspektiven zu erzielen.

Christian Rentrop

Diplom-Journalist, Baujahr 1979. Erste Gehversuche 1986 am Schneider CPC. 1997 ging es online. Seither als Schreiberling in Totholzwäldern und auf digitalen Highways unterwegs. Öfter auch auf der Vespa oder mit dem Wohnwagen unterwegs. Seit 2020 Tochtervater, dementsprechend immer sehr froh über eine kleine Kaffeespende.

Ein Kommentar

  1. Schöner Artikel, aber leider sind die Tipps nur umsetzbar, wenn man das planen kann. 2015 wurde ich von jetzt auf gleich zu einer Bergungsaktion bei einem Lost Place gerufen. Konnte gerade noch meine Kameratasche einpacken und schon ging es los. Zum Glück hatte ich noch diese kleinen LED-Taschenlampen aus dem Aldi mitgenommen, da die Batterien meines Blitzgerätes nach einigen Bildern die Hufe hochrissen.

    Nun, dieser Spot – oder die „Vignette“ – unterstreicht aber tatsächlich noch den Charakter der Bilder, auch wenn es eigentlich nicht so hätte laufen sollen. Grelles Licht ist nie gut für stimmungsvolle Bilder. Nur gut, dass es meistens Detailaufnahmen waren. Trotzdem hätte ich gerne die (Tages-) Zeit gehabt, das etwas pietätvoller abzulichten.

    Wenn Du mit dem CPC groß geworden bist, werden Dir beim Anblick dieser geplünderten Arcade sicher die Tränen kommen. Glaub mir, uns ging es vor Ort nicht besser. Vor Wut hätte man heulen können. Menschen sind halt dumm und gierig. :-(

    https://www.tote-pixel.de/arcade-mobil/untergang-einer-arcade.html?rCH=2

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