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Facebook: Die Leitkultur der Idiotie

Irgendwie kam ich kürzlich über ein wenig googeln zu einem Thema in mein Stammforum, obwohl es thematisch keinen Zusammenhang gibt. Der Post war von 2006 und jeder Beitrag war freundlich geschrieben, ohne Rechtschreibfehler verfasst und niemand wurde angepöbelt. Ich verglich das mit aktuellen Posts aus dem gleichen Forum und musste feststellen: Netiquette ist nicht mehr. Und schuld daran ist Facebook, denn das macht dumm und depressiv.

Vollidiotie ist die Leitkultur im Netz

Vorab muss ich sagen: Ich nutze Facebook eigentlich gerne und viel. Doch der neue Diskussionsstil (ich beschrieb es bereits), der auf diesem Medium gepflegt wird, ist unter aller Sau. Kürzlich wurde ich in krummsten Deutsch als „Spast“ bezeichnet, weil ich in einer politischen Gruppe anderer Ansicht war als der, der mich so nannte. Das kränkt mich nicht persönlich – es ist einfach keine Art. Die Diskussion verlief, natürlich, im Sande. Wie übrigens jede Diskussion auf Facebook: Entweder endet sie im Nichts. Oder ufert in wilden Beleidigungsfehden aus. Da kann der schöne Heiko und der Rest der Bundesregierung noch so viel für oder gegen Fake-News, Hasssprech und üble Nachrede unternehmen.

Da kann der innenministeriale Aktenstapler De Maizière noch so tolle Gedanken über eine deutsche Leitkultur machen, die im Netz ist schon seit geraumer Zeit gesetzt: Niveau im freien Fall, bildungsbefreite Besserwisserei, fehlerstrotzende Überheblichkeit und Aggression allerorten. Dazu ein permanentes Aufmerksamkeitsgerangel. Nur wer am lautesten brüllt, hat Recht, das ist Aufmerksamkeitsmanagement 2017. Was für eine Zeit, um zu leben.

Facebook-Beleidigung
Beleidigungen auf Facebook sind nur einen Klick entfernt.

Godwin’s Law reloaded

Zwar arteten hübsche Diskussionen schon früher gerne in Nazi-Vergleichen aus, wie Mike Godwin bereits 1990 feststellte. Doch das gehört zum Internet wie WLAN und Computer.

As an online discussion grows longer, the probability of a comparison involving Nazis or Hitler approaches one.”
– Mike Godwin

Man kann „Nazi or Hitler“ im heutigen Internet gegen beliebige andere Dauerschurken oder Beleidigungen austauschen. Was mich ankotzt, ist die Art und Weise, auf die Godwin’s Law heutzutage mehr Gültigkeit denn je erhält: Auf Facebook wird jede Form der Netiquette genau so konsequent ignoriert wie die Rechtschreibung. Und die Wahrscheinlichkeit, am Ende von einem intellektuellen Tiefflieger in absoluter Selbstüberschätzung beleidigt zu werden, steigt inzwischen schon nach dem ersten Post auf nahe 100 Prozent. Man kann nicht einmal mehr etwas in harmlose Verkaufsgruppen einstellen, ohne angepampt zu werden. Schlimmer noch: Diese Unkultur sprengt inzwischen die mediale Grenze. Kürzlich inserierte ich ein Macbook Air bei Ebay-Kleinanzeigen. Und wurde kurzum von einem Spinner angerufen, der mir nur mitteilen wollte, dass das Ding zu teuer sei. Auf meine Rückfrage, dass er es ja nicht kaufen müsse, wurde ich beleidigt. Das Gespräch endete in wüsten Beschimpfungen seinerseits, ich legte auf. Warum jemand so etwas macht? Nun: Anscheinend hat er auf Facebook gelernt, dass so etwas geht.

Das Problem grassiert im ganzen Netz

Das Problem ist natürlich nicht auf Facebook beschränkt, und Facebook ist auch nicht allein schuld daran. Aber das soziale Netzwerk trägt seinen Teil zu dieser neuen Unkultur bei: Früher, in den Anfangstagen des Internets und in der Zeit, zu der ich hier sozialisiert wurde, gab es zum Beispiel zahllose Diskussionsforen im Usenet und oder auf Websites. Gemeinsam hatten sie, dass es dort Moderatoren gab, die Unflat und Stinkstiefel abmahnten, ausschlossen oder anderweitig bestraften. Auf Facebook (wie auch auf Twitter, G+ und alle den anderen Netzwerken) gibt es im Grunde niemanden außer den Gruppen-Admins und Post-Urhebern, die zur Räson aufrufen oder den Müll löschen können. Oft wird das nicht getan, schlimmer noch: Viele Gruppen dienen einzig und allein dem Zweck, dem eigenen einseitigen Weltbild (Links- oder Rechtsextrem, Verschwörungstheorien, Fortschrittsangst und die üblichen Mischformen) in möglichst lautschriftartiger Rechtschreibung neue Thesen unterzujubeln und dabei die Realität zu ignorieren.

Wer mit dem Eintritt in die Pubertät eine lebenslange Online-Bilanzkrise beginnt, hasst eben sich und sein schäbiges Leben.
– ich

Und depressiv macht Facebook auch

Und das ist kein Wunder, denn die gefühlte Realität dieser Menschen sind ihre Facebook-Freunde, ihre Gruppen und die Websites, auf denen sie sich herumtreiben, also die Filterblase. So wie bei uns allen. Mit einem Unterschied: Die meisten Gedankenjongleure können nicht zwischen Realität und Facebook-Scheinrealität unterscheiden. Statt all die tollen Urlaubsbilder, die schönen Frauen und schnellen Autos ihrer Kontakte oder Facebook-Idole als das einzuordnen, was sie sind, nämlich Scheinrealität und Angeberei, glauben sie, dass das Leben so sein müsste. Und dass sie zu kurz gekommen sind. Das Resultat ist Frust, der sich spätestens in Diskussionen seinen Weg an die Oberfläche bahnt. Wer mit dem Eintritt in die Pubertät eine lebenslange Online-Bilanzkrise beginnt, hasst eben sich und sein schäbiges Leben. Das führt zu Depressionen. Und weil das schlecht auszuhalten ist – Stichwort Psychohygiene – wird der Seelenmüll dann an anderen ausgelassen. Kurzum: Nur massives Herunterputzen des Gegenübers kann die eigenen Seelenqualen mildern.

Facebook fördert die Unkultur

Warum ich diese ganze Entwicklung auf Facebook (und auch Twitter) schiebe: Nur hier, auf diesen Plattformen kann sich durch eine perfide Mischung aus Like-Geilheit, Frust und Kontrollverlust der Sumpf bilden, der inzwischen ins ganze Netz und in die Realität überschwappt. Wer derart bösartig trollt, wird anderswo – egal ob im echten Leben oder auf moderierten Plattformen – der Diskussion oder der Community verwiesen. Nicht so auf Facebook: Solange man die oft unverständlichen Facebook-Richtlinien nicht verletzt, darf jeder noch so unverschämte Mist abgesondert werden. Denn Facebook „entfernt“ nur Nacktheit (pfui), Hassbotschaften gegen Minderheiten, Rassismus, gewalttätige Inhalte und Urheberrechtsverletzungen. Fiese Beleidigungen und miese Rechtschreibung gehören nicht dazu, bleiben also drin. Zumal sowieso niemand die Millionen Posts kontrollieren kann, die allein in Deutschland stündlich bei Facebook auflaufen. Wer hier Satisfaktion will, muss Screenshots erstellen und den Anwalt einschalten.

Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal: Fresse halten.
– Dieter Nuhr

Beleidigungen und Unflätigkeit ist allgemeiner Konsens

Das andere ätzenden Problem, nämlich mangelhaftes Artikulationsvermögen, oft in einer fatalen Kombination mit Smiley-Vergewaltigung und geistiger Diarrhoe gepaart, ist ebenfalls kein Problem für die Verantwortlichen bei Facebook. Jeder darf seine Meinung haben und sie kommunizieren, was zunächst ja gut ist. Außerdem leidet ausnahmslos jede Community, egal ob echt oder virtuell, unter solchen Stilfehlern, sobald die Masse der Gesellschaft hineinbrandet. Mit ihr kommen nämlich immer auch die vulgären Vollpfosten, die niemand zur Party eingeladen hat. Die niemand will. Und die auch einfach nichts zu sagen haben sollten. Menschen, für die ausnahmslos gilt: Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal: Fresse halten. Was jedoch noch fataler ist, ist dass Facebook und Twitter ausgesprochen basisdemokratische Medien ist. Jeder hat die gleiche Stimme, ob Popstar, Politiker, Papst oder Penner. Allerdings haben VIPs dabei einen Vorteil: Ihre wie auch immer gearteten Lebensleistung und ihre Fanbase.

Otto Normal hat die nicht, ist also genau wie in echten Menschenmassen auch auf Facebook im Grunde auf sich allein gestellt. Anders als im echten Leben kann hüpfen und brüllen hier aber durchaus helfen: Unflätiges Verhalten an der richtigen Stelle generiert schnell ein wenig Aufmerksamkeit und hilft, ein paar Likes oder Retweets zu kassieren. Die sozialen Netze lassen Andy Warhols viel zitierte 15 Minuten Ruhm tagtäglich wahr werden. Für jeden einzelnen depressiven Niemand. Wieder und wieder. Perfiderweise findet vor allem unverschämtes Verhalten und himmelschreiender Unfug Aufmerksamkeit, wodurch diese Unart tagtäglich tausendfach multipliziert wird und so allgemeiner Konsens wird. Das vorläufige Endergebnis dieser Entwicklung kann man sich auf der Trends-Seite von Youtube ansehen: Hier zeigt die erste Generation, die kein Leben ohne Facebook und soziale Medien kennt, was sie gelernt hat.

Community-Standards
Facebook-Richtlinien: Kein Mittel gegen Idiotie.

Was zu tun wäre

Eine Lösung für das Problem sehe ich nicht. Man kann – und darf – niemandem, so dämlich und frech er auch sei, verbieten, sich auf einem für jeden offenen Parallel-Internet wie Facebook herumzutreiben. Trotzdem sollten die guten, alten Community-Standards und die Netiquette eingehalten und notfalls eingefordert werden: Wer eine Facebook-Seite oder einen öffentlichen Facebook-Account hat, sollte es denen, die hier den guten Stil missachten, möglichst schwer machen. Auf Meldung durch User wird Facebook in aller Regel aktiv, ob etwas passiert – etwa eine Blockade – ist allerdings nicht sichergestellt. Außerdem sollte natürlich jeder Seiten-Admin dummes und aggressives Zeug von seiner Facebook-Page schmeißen, moderierend eingreifen und all zu grobe Ausreißer nicht nur melden, sondern vor allem auch blockieren. Ansonsten gibt es leider nicht so viele Möglichkeiten, von juristischen Maßnahmen abgesehen.

Wer beleidigen will, beleidigt eben und wer dummes Zeug schreiben will, kann auch das natürlich weiter tun – nur wird er an wichtigen Gruppen und Diskussionen irgendwann nicht mehr teilnehmen können. Zumindest, wenn die Admins konsequent wären. Sind sie aber nicht, weshalb ich eine düstere Zukunft für Facebook prognostiziere: User wie ich, denen der Unfug zu bunt wird, werden auf Kurz oder Lang andere Plattformen finden und sich dort treffen. Facebook wird mehr und mehr zur Schmuddelplattform für die Abgehängten und Vulgären verkommen. Das wäre kein Novum, einzig Facebooks Quasi-Metropol scheint diesen Prozess derzeit zu verlangsamen. Echte Alternativen fehlen derzeit – aber die werden kommen, sobald diese Facebook-Leitkultur endgültig unerträglich wird. Und wer weiß: Vielleicht schafft man es hier, der Facebook-geprägten Idiotie Einhalt zu gebieten. So, wie es in meinem Stammforum zum Glück inzwischen wieder der Fall ist.

Christian Rentrop

Diplom-Journalist, Baujahr 1979. Erste Gehversuche 1986 am Schneider CPC. 1997 ging es online. Seither als Schreiberling in Totholzwäldern und auf digitalen Highways unterwegs. Öfter auch auf der Vespa oder mit dem Wohnwagen unterwegs. Seit 2020 Tochtervater, dementsprechend immer sehr froh über eine kleine Kaffeespende.

2 Kommentare

  1. Mein Artikel der Woche ! Ich dachte schon, ich wäre allein als Außerirdischer auf diesem sonst so schönen Planeten Erde. Mainstream kann auch manchmal auch depressiv machen… Merci für diese wirklichen klugen Gedanken

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