Linux & Co.Meinung

10 Gründe, warum die Kommandozeile nicht tot ist

Terminal und Kommandozeile sind Pfui-Wörter. Scheint mir jedenfalls so. Wann auch immer ich ein Wort in etwas anderes als ein Office-Programm tippe, heißt es überall sofort Frickelei!, hängt ihn. Apple-Nutzer werfen mir weltfremde Nerderie vor, Linux-Nutzer, ich würde den armen umstiegswilligen Windows-Nutzern den Spaß versauen. Kommt mal wieder runter …

GUIs sind super

Ich mag GUIs. Nur GUIs sind intuitiv. Und ungefähr 90 Prozent meiner Tage verbringe ich damit, seelig auf irgendwelche Fenster und Digitalmetaphern zu glotzen und einen virtuellen Zeiger in der Gegend herum zu schubsen. Aber ab und an muss es eben doch der Terminal sein. Und bevor ich die ganzen einzelnen Gründe aufliste, trete ich noch kurz gegen die beiden Haupt“argumente“, warum ich den Terminal gefälligst in Ruhe dahinsiechen lassen soll.

Frickelei? Es ist Frickelei apt install firefox zu tippen? Ööööhhhmm, nein. Frickelei ist, irgendein mäßig dokumentiertes Open-Source-Produkt unter Windows zu kompilieren. Frickelei ist es, sich Regexe zu bauen, um SPON-Inhalte herauszufiltern. Und alles, wo sed drin vorkommt ist zumindest tendenziell auch frickelig. Und in meiner ganz persönlichen Hölle (mit viel Gesellschaft), genügt ein offner vi-Editor im Vollbild, um mich wie der verdammte Frickelgott höchstpersönlich zu fühlen, wenn ich es nur schaffe das Mistding wieder zu schließen. Aber ip a einzugeben, um die IP-Adresse in Erfahrung zu bringen, ist keine Frickelei.

Umsteiger-Verschrecker? Ein Leser warf mir neulich vor, durch die „falsche“ Art und Weise Linux zu nutzen (im Terminal), potenzielle Windows-Umsteiger zu verschrecken. Und mit einem gut bekannten Softwareentwickler hatte ich diese Diskussion auch schon hier und da (dabei lebt der quasi in emacs …, woll?!). Und mit Kollegen sowieso. Erstens: Siehe Punkt 1 – Terminal heißt nicht Gefrickel, da braucht niemand Angst vor zu haben. Zweitens: Es lässt sich nunmal nicht alles in der GUI lösen und jede Distribution beziehungsweise Desktop-Umgebung hat wieder eine eigene GUI mit eigenen Tools. Schreibe ich „Anleitung für Linux“, wird gemeckert, das sei technisch gesehen Quatsch. Stimmt auch.

Schreibe ich „Anleitung für Linux Mint Mate“, kann ich gleich noch 20 weitere Anleitungen schreiben. Für Gnome, Cinnamon, Plasma, LXDE, XFCE und was weiß ich nicht noch alles. Ich fände es als Umsteiger vermutlich viel verschreckender, wenn mir jemand zeigen will, wie etwas geht – und dann sieht der ganze Mist bei mir völlig anders aus.

linux-desktops
Linux Mint ist toll – Cinnamon- und Mate-Version haben teils aber völlig andere GUI-Tools.

Und ganz abgesehen davon: Wer den Rechner nicht nur brutal oberflächlich für Web, Office, Kommunikation und ein paar Medien nutzt, sollte von Linux die Finger lassen, wenn er so viel Angst vor der bösen Eingabe von Wörtern hat. Ach Quark, alleine schon wegen Problemen mit Dateirechten käme ich kaum einen Tag ohne Terminal aus. Vielleicht sind Apple-/Windows-Nativlinge terminalphobisch, aber sie steigen ja nicht ohne Grund um – ich zumindest sehe darin ein Quäntchen Hoffnung. Hoffnung, dass sie nicht nur von Großkonzernen, sondern auch von Nutzerverdummung entfliehen wollen. Du musst das nicht verstehen, klick einfach auf den roten Knopf, alles wird gut, vertrau uns einfach, nur nicht zu viel nachfragen …

Ich bin Linux-Fan – aber ich bleibe dabei: Wer den Rechner wirklich intensiv und für unterschiedlichste Dinge nutzt, muss unter Linux etwas mehr Einarbeitung betreiben als unter Windows. Und wird dafür mit Effizienz und Funktionsvielfalt belohnt. Und Blödsinn wie Tracking, Werbung, Spionage und Malware fehlt obendrein. Aber egal, hier mal ganz fix zehn heruntergetippte Gründe, warum die Konsole längst nicht tot ist.

1. Schneller

Viele Dinge gehen im Terminal schneller – ist einfach so. Machen wir doch einen Wettbewerb draus: Wie lange dauert es wohl, die Installation grundlegender Programme bei einem neu aufgesetzten Linux anzutriggern? Im Terminal:

apt-get install firefox libreoffice thunderbird gimp openshot

Das hat jetzt knapp 10 Sekunden gedauert. Wer versucht es jetzt in der GUI? Ist offensichtlich, oder? Und die Installation von Programmen ist nun wirklich keine komplexe Aufgabe …

2. Teils alternativlos

Manchmal gibt es auch keine, oder zumindest keine ersthafte, Alternative. Nehmen wir mal ein Supersimpelbeispiel: Ihr wollt aus einem Textdokument alle Zeilenumbrüche durch Leerzeichen ersetzen. Im Terminal:

tr '\r\n' ' ' text.txt

Das tr erfasst sowohl Return- (\r) als auch New-Line-Umbrüche (\n) und ersetzt sie durch den zweiten Text in Anführungszeichen, hier eben ein Leerzeichen. Viel Spaß mit Word.

3. Pipes

GUI-Programme erledigen vielleicht ihre eigene Aufgabe zufriedenstellend, aber sie lassen sich einfach sehr schwierig mit anderen Programmen verbinden. Ein Beispiel: Ihr wollt aus allen Textdateien eines Ordners alle Absätze heraus kopieren, die das Wort „Pilkaller“ enthalten und abzüglich etwaiger Dubletten als Liste in einer neuen Datei speichern. Im Terminal:

cat *.txt | grep Pilkaller | sort | uniq > meineliste.txt 

Die Ergebnisse des einen Programms werden einfach an das nächste übergeben: cat liest die Dateien aus, grep sucht das Suchwort, sort sortiert, uniq entfernt Dubletten und alles landet in einer neuen Datei. In GUI-Programmen könnt Ihr zwar im- und exportieren, aber Ihr müsst alle Aufgaben nacheinander ausführen, etliche Fenster öffnen und schließen – keine wirkliche Alternative.

Der Fairness halber: Tools wie der Medienkonverter Media Coder nutzen im Hintergrund ebenfalls solche Pipes, aber man konfiguriert diese bequem über eine GUI – wenn es das nur immer gäbe …

4. Skripte

Die Sache mit den Pipes hat irgendwann ein Ende und dann kommen Skripte. Skripte sind quasi komplett neue Programme, ganz speziell für Eure persönlichen Bedürfnisse – und das ohne ernsthafte Programmierkenntnisse. Shell-Skripte sind im Grunde nichts weiter als sehr lange, komplexere Pipes. Nötig wird sowas immer dann, wenn es keine Tools für das was Ihr machen wollt gibt.

Die Bedürfnisse müssen gar nicht mal abgedreht sein: Wenn wir hier auf Tutonaut etwa Smartphone-Screenshots zeigen, zeigen wir diese entweder beschnitten oder zwei nebeneinander, weil Smartphone-Screenshots auf Smartphone-Displays blöd aussehen. Ich für meinen Teil erledige das einfach, indem ich zwei Bilder per Drag&Drop auf eine BAT-Datei mit einem simplen Skript ziehe. Aber hey, macht das ruhig mit Gimp.

5. Fernzugriffe

Wie wäre es zum Beispiel mit einem Raspberry Pi als Musik-Server? Ist doch nicht so abwegig. Natürlich könnt Ihr ein grafisches System aufsetzen, ein Kodi, einen kompletten Desktop – aber nur für Mucke? Als Musik-Server muss es keine aktueller Raspi sein, ein 2er-Modell tut es voll und ganz. Aber mit einem Desktop oder Kodi ist das Teil unerträglich langsam. Den Musik-Server selbst bedient Ihr später selbstverständlich mit einer schicken GUI via Browser oder App. Aber die Raspi- und Systemverwaltung? Nun, Ihr verbindet Euch mittels SSH und konfiguriert auf der Kommandozeile.

6. Installationsanleitungen

Leider gibt es, auch für Endnutzer, immer wieder Programme, die nicht in einem fertigen Paket kommen, das einfach mittels Doppelklick oder Paketmanager installiert werden kann. Sondern erst kompiliert werden müssen. Dann geht es oft eh nicht anders. Und selbst wenn es über Softwarecenter oder grafische Paketmanager wie Synaptic ginge: Viele Anleitungen für die Installation von Linux-Software sind nun einmal für den Terminal geschrieben. Das muss man nicht mögen, aber sich wegen ach so komplizierter „Hackerei“ wie apt-get install fortune oder dem Abtippen von drei Befehlen in die Hose machen und auf Tausende tolle Programme verzichten? Blödsinn. Auch darum sollte jeder Linux-Nutzer zumindest ein paar Befehle/Tools für den Terminal kennen.

7. Akku

Was für ein wundervoll simples Argument: Wenn ein Laptop direkt in einen Terminal bootet und den ganzen grafischen Kram außen vor lässt, hält der Akku deutlich länger. Und zum Tippen längerer Texte auf einer Bahnfahrt genügt ein simpler Editor wie nano allemal.

8. Universell

Für viele Aufgaben gibt es wunderbare grafische Desktop-Programme. Und das Wundervollste: Tendenziell sind das bei jeder Desktop-Umgebung andere Tools. Ihr könnt eine Aufgabe dann eben nicht unter Linux halbwegs allgemein erledigen, sondern nur unter Gnome. Oder Plasma. Oder Mate. Oder Cinnamon. Oder LXDE. Oder XFCE. Oder oder oder … Wenn Ihr zum Beispiel Rechte im Terminal setzen könnt, könnt Ihr das auf nahezu jedem Linux. Genauer gesagt jedem GNU/Linux: Linux ist eigentlich nur der Kern, die meisten Standard-Tools stammen vom GNU-Projekt.

9. Umfangreiche Hilfe

Im Terminal ist es wunderbar einfach, Hilfe zu bekommen: In der Regel spuckt die Option –help eine kurze Übersicht der Programmoptionen aus und über den Befehl man bekommt Ihr das ausführliche Handbuche. Also beispielsweise für den Befehl ls:

ls --help
man ls

Und jetzt schaut mal in Euren Lieblings-GUI-Programmen nach. Na? Wie oft ist die Hilfe nur online verfügbar? Wie oft findet Ihr eine Kurzübersicht über Optionen und grundsätzliche Nutzung?

10. Stapelverarbeitung

Stapelverarbeitung ist in manch einem GUI-Tool tatsächlich eine Option. Gimp beispielsweise kann auch 30 Bilder auf einmal optimieren. Aber es ist eben eine eher seltene Option. Im Terminal könnt Ihr jedes Tool für Batch-Aufgaben verwenden. Jedes!

Viva la Eingabeaufforderung

Ja, Otto Normalverbraucher kann Ottonormalaufgaben ohne Terminal erledigen. Man kann auch Windows mit der Stimme bedienen – wenn man keine Ansprüche hat. Und mal ehrlich, man kann sein Auto sogar biologisch wertvoll schieben – wenn man keine Ansprüche hat. Und man kann Linux mit der GUI bedienen – wenn man keine Probleme hat. Aber die Probleme kommen. Die Ansprüche kommen. Und dann ist unter Linux ein wenig Kommandozeilenwissen mehr als nur hilfreich. Und für Poweruser eh unerlässlich. Und es hat nix mit Frickelei zu tun. Verlangt keine Programmierkenntnisse. Ist einfach nicht so schräääcklich grrrauuusig wie gerne unterstellt wird.

Und mit ein wenig Übung stellt sich sogar ein gewisses Maß an Intuition ein. Und wenn man einmal so weit ist, sieht man im Terminal weder einen Anachronismus noch einen Hacker-Eliten-Mechanismus oder sonst einen überinterpretierten Wasauchimmer, sondern einfach nur das, was es ist: Ein hervorragendes Werkzeug für etliche Aufgaben. Sonst nichts.

Übrigens: Der Terminal unter Windows ist standardmäßig eher belanglos, kann aber massiv aufgewertet werden. Ja, ich fordere auch Windows-User auf, den Terminal kennenzulernen – einige der zehn Gründe (Pipes, Textverarbeitung) treffen auch dort zu. Und bevor ich mir jetzt noch den Vorwurf gefallen lassen muss, Nutzer von Linux und Windows in Richtung Mac OS zu treiben (was ich als teuflisch deklarieren würde): Dort gibt es schon einen brauchbaren Terminal. Oh Wunder: Der ist fast identisch mit seinen Linux-Vorfahren …

Mirco Lang

Freier Journalist, Exil-Sauerländer, (ziemlich alter) Skateboarder, Dipl.-Inf.-Wirt, Einzelhandelskaufmann, Open-Source-Nerd, Checkmk-Handbuchschreiber. Ex-Saturn'ler, Ex-Data-Becker'ler, Ex-BSI'ler. Computer-Erstkontakt: ca. 1982 - der C64 des großen Bruders eines Freunds. Wenn Ihr hier mehr über Open Source, Linux und Bastelkram lesen und Tutonaut unterstützen möchtet: Über Kaffeesponsoring via Paypal.freue ich mich immer. Schon mal im Voraus: Danke! Nicht verpassen: cli.help und VoltAmpereWatt.de. Neu: Mastodon

3 Kommentare

  1. Eigentlich hab ich mir ja abgewöhnt Artikel zu kommentieren, aber hier möchte ich jetzt doch mal meinen Senf dazugeben:
    Ich bin eine 55jährige „frustrierte Windowsnutzerin“ und seit ca. einem halben Jahr Linuxanfängerin.
    Nachdem ich mich mehrere Jahre lang von Bemerkungen wie „Linux ist doch nur für Programmierer“ und „Das ist so kompliziert. Für normale Leute nicht nutzbar“ habe abschrecken lassen, hab ich ich letztendlich meinen Dickkopf durchgesetzt und mit Linux angefangen.
    Zugegeben: ich habe mir die Kommandozeilen aufgeschrieben und sogar laminiert (jaja, ich weiss, typisch Frau) und ich muss da auch immer wieder draufschauen, aber ich finde es regelrecht aufregend.
    Inzwischen musste ich lernen, das jemand wie ich „echten Linuxern“ teilweise auf die Nerven geht, aber das ist mir egal. Es gibt auch genügend andere, die mir online immer wieder geholfen haben. Danke an alle geduldigen Linuxnutzer!
    Fazit: Terminal kann Spass machen. Ich freu mich jedesmal wie ein Schneider, wenn ich wieder mal etwas per Terminal „hinbekommen“ habe.

    1. Verdammt, den Kommentar habe ich glatt übersehen … Dabei ist das mal echt schön zu hören, dass auch normale Nutzer immer wieder erfolgreich auf ein Linux umsteigen. Seltener: Den Terminal auch noch schätzen lernen. Und (so deuten zumindest alle Zahlen an) noch seltener: Benutzerinnen. Dreifach erfreulich!

  2. Ich habe bisher immer gedacht, das genörgle kommt von Leuten, die auf Linux umsteigen, ich könnte mir nicht vorstellen, ohne das Terminal auszukommen. Sicher, mal eben ein Programm installieren, das geht auch mit Tools wie synaptic, aber in der Zeit, die das Programm braucht, da habe ich es im Terminal schnell erledigt. Ein absolutes Grauen kriege ich bei diesen Softwarecenter, die sind wahrscheinlich nur da, um Umsteigern nicht gleich mit der Konsole zu verschrecken, dabei ist das völliger Schwachsinn! Ich kann nur jeden empfehlen, sich auch gleich mit dem Thema ein wenig vertraut zu machen, denn es lohnt sich, was das effiziente arbeiten mit dem System angeht.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Schließen

Ooopsi!

Bitte deaktiviere Deinen Adblocker.