Amazon ist der weltgrößte Online-Händler und ja: Ich kaufe da grundsätzlich auch gerne ein und wir verwenden Amazon hier als Affiliate-Programm. Zumal andere Händler auf der Plattform ebenfalls aktiv sind, womit Amazon inzwischen zu einer Art Neuware-Ebay geworden ist. Dummerweise lässt Amazon anscheinend die Qualitätskontrolle schleifen: Solange man weiß, was man haben will, ist das kein Problem – aber wehe, man möchte etwas weniger Spezifisches. Ich ertappte mich in letzter Zeit öfter dabei, wie ich stundenlang nach Kinderspielzeug oder Kabeln für 10 Euro suchte. Der Grund: Eine Riesenwelle von China-Schrott mit Fake-Bewertungen macht es fast unmöglich, wirklich gute Produkte zu finden. Ist Amazon auf dem Weg zur Ramsch-Plattform à la Wish?
Alles, was ich wollte, war ein Ball…
Ich wollte einen Ball für meine Tochter kaufen. Einen ganz normalen, blöden PVC-Ball in rot mit weißen Punkten, wie er in gefühlt jedem Bilderbuch auftauscht. Normalerweise wäre ich dafür in einen Laden gegangen, aber nunja… Lockdown halt. Ich suchte also bei Amazon – und fand zahllose Ergebnisse. Nun will man aber einer Einjährigen nicht gerade einen Weichmacher-Verdampfer aus billigster Fernost-Produktion kaufen, schließlich leckt sie alles an. Markenhersteller? Musste ich erst einmal recherchieren: Beide mehr oder weniger Importeure mit Fernost-Ware. Daneben zahlreiche No-Name-Produkte.
Deshalb blieben als einziger Anhaltspunkt die Bewertungen, und die sind, nunja: Seltsam. Das „deutsche“ Produkt hat einige sehr schlechte Bewertungen, das gleich teure und sehr ähnliche Produkt vom Mitbewerber satte 326 (!) Bewertungen, 69% davon mit fünf Sternen. Bei erfahrenen Amazon-Nutzern wie mir klingeln da alle Alarmglocken: Viel zu viele Bewertungen für so ein einfaches Produkt, viel zu viele davon seltsam positiv, was nicht zum Gesamtbild passen mochte, das sich aus den negativen Bewertungen ergab. Kaufen wollte ich keinen der Bälle, habe aber letztlich das schlechter bewertete Produkt aus deutscher Produktion über Ebay bei einem namhaften Spielwarenladen bestellt, um sicherzustellen, ein Original zu erhalten.
Die Sache mit den USB-Kabeln
Anderes Beispiel, gleiches Problem: Wohl jeder von uns kennt das USB-Kabel-Dilemma, das da bedeutet, dass Herstellerkabel meist sehr teuer sind und auch offizielle Drittanbieter für ein bisschen Draht im Schlafrock Mondpreise aufrufen. Bei Amazon gibt’s hingegen USB-C-auf-USB-A-Kabel für ganz kleines Geld: Vierersets mit verschiedenen Kabellängen von nicht gerade vertrauenserweckenden Marken wie Raviad, Nimaso, Gianac und Co., dazwischen etwas bekanntere Vertreter wie Anker und Easeus, die sich inzwischen einen Namen gemacht haben. Besonders schlimm steht es um die USB-C-auf-C-Kabel – durch die immerhin je nach Modell 100 Watt Leistung laufen müssen, um zum Beispiel ein Notebook zu laden! Gleiches gilt für USB-C-Netzteile. Diese OEM-Hardware aus China ist im besten Fall genauso gut wie Produkte namhafter Hersteller, im schlechtesten brandgefährlich: Ich als potentieller Kunde kann überhaupt nicht bewerten, wo der Kram herkommt, ob die (wenn überhaupt vorhandenen) CE-Zeichen echt sind und ob vernünftige Komponenten verbaut sind.
Ramsch-Plattform Amazon: Keine Chance, Raubkopien zu erkennen
Das betrifft auch viele andere kleine China-Elektrosachen, Spielzeuge und viel mehr. Perfiderweise wird ein und dasselbe Produkt von den Fernost-Herstellern auch noch in unterschiedlicher Qualität untereinander kopiert, womit man als Kunde mit einem gewissen Qualitätsanspruch nicht die geringste Chance hat, das Produkt herauszugreifen, das wirklich taugt. Es sei denn, man wählt eben doch den Originalhersteller. Wobei, Stopp: auch hier ist nicht sicher, ob eine europäische oder amerikanische Traditionsmarke nicht längst in Hand asiatischer Ramschhersteller ist oder selbst in Fernost mit fragwürdiger Qualität fertigt. Und ob es sich nicht um Produktfälschungen handelt, die bei Amazon als Original angeboten werden. Kurzum: Der Kauf solcher Elektronik und Spielzeuge bei Amazon ist inzwischen ein echtes Risiko.
Kleidung, Schuhe, alles…
Auch das Bekleidungs-Segment ist betroffen: Zwar gibt es hier „Markenshops“ auf Amazon, aber ob die hier angebotene Ware tatsächlich vom Hersteller stammt, ist in vielen Fällen zumindest fraglich. Schuhe? Ich bestelle seit Jahren regelmäßig neue Adidas Samba bei Amazon, aber die Händler wechseln – und mit ihnen auch die Qualität. Mancher Schuh machte schon beim Auspacken den Eindruck, als handelte es sich um eine mehr oder weniger gut gemachte Raubkopie und ging zurück. Ob das die Qualitätsschwankungen bei Adidas sind oder ob sich hier Fernost-Kopisten tummeln? Ich als Kunde habe keine Chance, das zu erkennen. Und wer möchte schon teure Markenware kaufen, um am Ende minderwertige Qualität zu erhalten? Am Ende weiche ich inzwischen wegen dieser Flut an Ramsch und dieser Unsicherheit immer öfter auf Unternehmen aus, die vollständig eigene Lager betreiben.
Wie wäre es mit bestätigten Shops?
Dabei ließe sich das Problem ganz einfach lösen: Die schiere Masse an Produkten bei Amazon verlangt natürlich, dass Drittanbieter an Bord sind, außerdem können sich viele kleinere Händler oder Kunsthandwerker ein durchaus profitables Nebengeschäft über den Anbieter aufbauen. Insofern ist es Unsinn, Amazon per se zu meiden. Trotzdem wäre es schön, wenn Amazon mehr Qualitätskontrolle walten ließe. So wäre es zum Beispiel schon hilfreich, wenn es eine Art Qualitätssiegel für „echte“ Shops gäbe, sprich: Kunden auf einer Amazon-Shopseite sofort erkennen könnten, dass der Anbieter von Amazon überprüft wurde. Und dass auf dieser Shopseite ausschließlich Produkte angeboten werden, die dieser Anbieter selbst versendet. Schön wäre auch, wenn in der Flut der Angebote eindeutig erkennbar wäre, wo ein Produkt jetzt her kommt und welcher Anbieter dahinter steckt. Ist zum Beispiel ein iPhone offizielle Refurbished-Ware von Apple? Oder ist es ein in einer Hinterhofwerkstatt zusammengezimmertes „Vorführgerät“? Der Algorithmus spuckt den besten Preis aus – und dahinter liegt oft unseriöse Ware.
Amazon sollte seinen Ruf schützen
Das Problem ist, dass Amazon momentan seinen Ruf verspielt, eine solide und seriöse Anlaufplattform für Produkte aller Art zu sein. Früher habe ich hier alles gekauft, sofern der Preis OK war – ich habe mich darauf verlassen, dass Amazon gute Ware liefert. Auch das Bewertungssystem gab eindeutige Hinweise auf die Qualität eines Produkts. Diese Zeiten scheinen jedoch vorbei zu sein: Die Bewertungen sind keinen Pfifferling mehr wert. Und gerade bei niedrigpreisigen Produkten und Kinderspielzeug ist die Qualität in vielen Fällen russisches Roulette. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Amazon dieses Problem um die Ohren fliegt…