
Eine meiner liebsten Saturn-Erinnerungen ist ein Palette, die ich gekauft hatte, und zwar in Bausch und Bogen. Oder en gros. Oder als Konvolut. Viele schöne Wörter, oder? Ergebnis: So eine Art WSV auf zwei Quadratmetern. Also falls sich noch jemand an echten Winterschlussverkauf erinnert ...
Zur Kolumne "Saturn, 90er, PC-Abteilung"
Lustige Begriffe
Kurz für den Kontext: WSV wird auch heute noch verwendet, aber doch eher als beliebiges Marketinginstrument. Sicherlich wird in der Klamottenbranche über den WSV Platz für neue Kollektionen geschaffen, aber zwischen den ganzen Black-Fridays und Ausverkäufen und Pop-up-Stores geht das etwas unter. Früher: WSV und SSV haben zu RIESIGEN Menschanansammlungen geführt, die sich wie bekiffte Fliegenschwärme verhalten haben. So South-Park-Offline-Black-Friday-mäßig ...
Egal, die Palette. Irgendwann hatte ich die Möglichkeit, eine Palette mit Software und Büchern in Bausch und Bogen zu kaufen - sprich als Ganzes und ohne Möglichkeit zu erfahren, was wirklich drin ist.
Und um noch ein paar Fachbegriffe unters Volk zu streuen: Bei eBay ist der Begriff Konvolut gängig, für zum Beispiel Sammlungen von CDs - allerdings erlaubt so ein Konvolut, den Inhalt zu begutachten. Auch en gros wird bisweilen für ungeprüfte Pauschalkäufe verwendet, meint aber streng genommen nur den Kauf in größeren Mengen im Sinne des Großhandels.
Die Palette
Jedenfalls habe ich dann eine Palette geordert - ich glaube von Sybex, bin aber nicht mehr sicher. 1.000 D-Mark für eine Europalette mit einer brusthohen Pappschachtel - also ein guter Kubikmeter irgendwas.
Ausmaß der Begeisterung meines Abteilungsleiters: Äußerst mäßig 😉 Logisch, denn zum einen war mit jeder Menge Schrott zu rechnen. Zum anderen würde es viel Arbeit machen: Produkte sortieren und einpflegen, Preise finden, einräumen - viele Stunden Arbeit.
Dabei gab es sogar eine vage Vorstellung des Verkäufers: 40 D-Mark für Highlights, 20 D-Mark für diese Kategorie, 10 D-Mark für jene, 5 für den Kleinkram - und der "Müll" sollte halt entsorgt werden.
Ich hatte aber einen ganz anderen Plan: Palette samt Kiste in den Laden, öffnen, Preisschild Stück 3 D-Mark drauf, fertig 😉
Sinn der Sache war nicht, riesigen Gewinn zu machen, sondern Kunden glücklich! Und meine Fresse hat das gut funktioniert: Menschen standen in Zweierreihen um die Kiste, haben sich gegenseitig Kram gereicht und über Fundstücke unterhalten - so viel Kunden-Interaktion gab es sonst nie. Eigentlich gab es gar keine ...
Aber ist ja auch klar: In der Kiste waren zum Beispiel viele richtig dicke Bücher, die durchaus noch relevant waren und bis zu 60 DM kosten sollten - für 3 Mark ein echtes (Mega-Mega-Mega-)Schnäppchen, oder?
Das Chaos um die Palette hat nicht jeden glücklich gemacht, der Gang war dicht. Und meine halbwegs irre Preispolitik hat vor allem den Palettenanbieter nicht glücklich gemacht - weil ich seinen Kram doch ziemlich verramscht habe.
Aber: Die Kunden waren super happy, der Preis für die Palette war nach einem Tag wieder drin, ein wenig Gewinn hat sie letztlich durchaus gebracht - vor allem aber Kunden zurück in den Laden! Und viele dürften zu ihren Schnäppchen dann auch noch was Normales gekauft haben.
Aus meiner Sicht ein voller Erfolg! Nach ein paar Tagen waren dann allerdings irgendwann alle guten Dinge raus. Übrig blieben zum Beispiel Bücher zu 10 Jahre alter Software, noch ältere 5-1/2-Zoll-Disketten und andere Dinge, die wohl nur aus einem Grund dabei waren: Es war billiger, als sie zu entsorgen.
So eine Palettenaktion ist im Grunde für alle gut: Der Hersteller wird Schrott los und "opfert" dafür ein paar mittelgute Produkte. Der Händler sorgt für Kundenbindung und bestenfalls ein paar Taler Gewinn. Kunden sparen wie blöde und haben Spaß am Wühlen und Erkunden - yep, im Grunde war meine Bausch-und-Bogen-Palette eine riesige Loot-Box!
Ob Wühltisch oder Loot-Box, die Psychologie ist vermutlich die gleiche und allemal ein unternehmerisches Risiko wert.
Und ich kann nur jedem Einzelhändler derlei Aktionen empfehlen! Ein Schnäppchen bei Amazon am Black Friday? Kann jeder! Aber so eine obskure Loot-Box bei einem lokalen Händler? Da kann man sich als Schnäppchenjäger wirklich als der Größte fühlen? Oder die Größte - aber nicht in den 90ern in einer Computer-Kiste ...
Übrigens: Bei Saturn und Amazon gibt es natürlich auch für Endkunden Loot-Boxen, Überraschungspakete, Explosionsboxen oder wie auch immer die Wundertüten für Erwachsene heißen mögen - ohne große Erwartungshaltung vielleicht den Spaß wert. Vermutlich aber nicht 😉