iPhone, iPad & Co.

Test: Maus-Unterstützung in iPadOS 13.4 – das wurde auch Zeit!

Der größte Designfehler des iPads war die fehlende Mausunterstützung. Mit iOS 13.4 ist das Geschichte – und das iPad endlich der laut Werbung beste Computer, der kein Computer ist.

Wie lang sind 3643 Tage? 3643 Tage, also fast 10 Jahre, sind eine sehr lange Zeit, wenn man einen Computer ohne Maus benutzen muss. Denn 3643 Tage sind nicht nur die Zeitspanne, die zwischen dem Release des ersten iPads und dem von iOS 13.4 mit Mausunterstützung liegt. Sondern auch die, die Apple benötigt hat, um zu verstehen, dass ein Tablet nur dann ein PC-Ersatz sein kann, wenn er auch eine Maus besitzt. Nun ist es endlich soweit: Das iPad hat mit iOS 13.4 offiziell Maus-Unterstützung bekommen. Apple, so scheint es, erfindet MacOS gerade von hinten durch die Brust ins Auge neu. Doch die Maus ist ein echter Produktivitätsbooster – wenn auch mit einigen Hindernissen.

War denn das so schwer?

Immerhin: Apple hat nicht einfach einen Cursor ins System gepröfft und den Mauszeiger à la Ur-Macintosh auf’s iPad übertragen. Vielmehr hat man sich das Konzept Maus und Trackpad genau angeschaut – und dabei eine interessante Lösung gefunden: Der Mauszeiger auf dem iPad ist dynamisch, eine Mischung aus klassischem Cursor und den bekannten Fingergesten. Er reagiert auf Menüs, Icons und andere Dinge, und das ist tatsächlich ziemlich intelligent gelöst, denn die Bedienung ist erstaunlich intuitiv.
Nach 10 Jahren und 9 großen iOS/iPadOS-Versionen ist es also nun auch auf dem iPad vernünftig möglich, Text zu kopieren und einzufügen oder Elemente auf der Oberfläche zu verschieben. Man hört regelrecht das „klick“, als der Groschen bei Apple gefallen ist: Ein wurstiger Finger ist zu unpräzise, ein Stift zu fummelig und ein Touchscreen eben nicht immer beste Bedienkonzept. Genau deshalb gibt es gute Gründe, warum sich Maus, Trackpad und Tastatur bis heute als Eingabegeräte am PC und Mac gehalten haben. Dennoch: Gelungen ist sie, die Umsetzung. Apples Craig Federighi, Senior Vice President, Software Engineering zeigt im folgenden Video, wie es geht:

Ausgerechnet die Apple-Maus geht nicht richtig

Die Verbindung mit der Maus ist ein Kinderspiel: Genau wie bei Tastaturen muss das Zeigegerät einfach in den Bluetooth-Kopplungsmodus versetzt und anschließend über das Bluetooth-Menü von iPadOS verbunden werden. So weit, so einfach. Wie vermutlich viele von Euch habe ich noch eine alte Magic Mouse der ersten Generation, die ich frohgemut mit dem iPad verbinde, um das Feature auszuprobieren. Und merke: Irgendwie klappt das alles nicht richtig. Die zweite Maustaste fehlt, und scrollen kann das Ding auch nicht. Das Problem mit der rechten Maustaste ist schnell gelöst: Dass Apple eine Aversion gegen dieses ganze Maus-am-iPad-Thema hat, merkt man schon daran, dass die Maus-Optionen kreuz und quer in den Systemeinstellungen verstreut sind. Wer die Maus einstellen will, muss sie zunächst koppeln und dann ins Menü Bedienungshilfen -> Zeigersteuerung navigieren. Hier gibt es einige spärliche Optionen. Zum Einrichten der zweiten Maustaste muss aber noch der Unterpunkt Bedienungshilfen -> Assistive Touch -> Geräte -> (Name-der-Maus) -> Zusätzliche Tasten anpassen aufgerufen werden. Und dann gibt es noch das Menü Allgemein -> Trackpad & Maus, wo Ihr die Scrollrichtung und die Zeigerbewegung einstellen könnt. Was für ein Geraffel.

Koppeln ist ein Kinderspiel.
Koppeln ist ein Kinderspiel.

Alte Magic-Mouse ist künstlich beschränkt

Und dann geht auch noch das Scrollen nicht. Der Grund dafür: Apple hat zwar die Unterstützung für die aktuelle Magic Mouse 2, das aktuelle Magic Trackpad 2 und grundsätzlich alle Drittanbieter-Geräte in iPadOS eingepflegt; diese funktionieren reibungslos. Aber das bedeutet nicht, dass die alte Magic Mouse 1 – die mit den wechselbaren Batterien – richtig funktioniert: Scrollen geht nicht, weil Multitouch-Unterstützung fehlt. In den Release-Notes von iPadOS 13.4 ist davon nur verklausuliert die Rede:

  • Unterstützung für Magic Mouse, Magic Mouse 2, Magic Trackpad, Magic Trackpad 2 sowie für Bluetooth- und USB-Mäuse von Drittanbietern
  • Multi-Touch-Gesten auf der Magic Mouse 2 ermöglichen es dir zu scrollen, Sekundärklicks (Rechtsklicks) auszuführen und durch Streichen zwischen Seiten zu wechseln

Mit anderen Worten: Die Multitouch-Unterstützung für die Magic Mouse 1 fehlt. Und das mit voller Absicht. Sinnvoll ist das sicher nicht, aber wahrscheinlich gut für die Verkaufszahlen von Apples Hardware-Spare. Oder um es mit den Worten eines Reddit-Users zu sagen:

Yeah, what a crock. Sometimes I feel like apple excludes things like this to drive more sales. I get it, their a business, but c’mon.

Eben: Come on! Ernsthaft, Apple? Was soll das? Das ist wirklich gierige Geschäftemacherei! Die olle Magic Mouse mag längst aus dem Support geflogen sein, trotzdem dürften zahllose Macnutzer noch so ein Teil in der Schublade haben. Diese künstliche Beschränkung ist lachhaft, zumal alle anderen Drittanbieter-Mäuse mit klassischem Rädchen funktionieren. Und ganz nebenbei lässt sich die Beschränkung auch noch leicht umgehen: Alles, was Ihr tun müsst, ist Assistive Touch unter Einstellungen -> Bedienungshilfen -> Tippen -> Assistive Touch zu aktivieren. Danach kann die Maus zwar nicht scrollen, aber Ihr könnt sie zumindest nutzen, um Menüs an die richtige Position zu ziehen. Das ist besser als nichts und trotzdem deutlich angenehmer, als ständig den Finger auf den Bildschirm zu legen.

Die Mauseinstellungen in iPadOS sind quer über das System verstreut.
Die Mauseinstellungen in iPadOS sind quer über das System verstreut.

In der Praxis gewöhnungsbedürftig

Zum Glück habe ich noch eine andere Bluetooth-Maus in der Schublade, ein Drittanbieter-Gerät mit ollem Scrollrad und siehe da: Die funktioniert einwandfrei. Und schon macht das Mausen am iPad richtig Spaß und die Bedienung des iPads geht fast so flott wie die des Macs von der Hand. Dabei helfen auch die praktischen Gesten, die es erlauben, schnell und ohne die Hand von der Maus zu nehmen, wichtige Basisfunktionen aufzurufen. Die Gesten sind:

  • Kontrollzentrum: Maus nach oben rechts schubsen.
  • Mitteilungszentrale: Maus nach oben schieben.
  • Dock: Nach unten ziehen.
  • App-Übersicht: Weiter nach unten ziehen.
  • Home-Screen: Noch weiter nach unten ziehen.
  • Slide-Over-Apps: Maus nach rechts schubsen.
  • Und falls es weitere gibt, schreibt sie uns in die Kommentare…

Die Gesten sind zwar den Gesten auf dem Mac grundsätzlich nicht unähnlich, insgesamt aber schon gewöhnungsbedürftig. Zumal sie teilweise enorme Mausbewegungen erfordern – hier wäre eine Lösung ähnlich der Mission Control/Exposé-Funktion von MacOS deutlich sinnvoller. Wobei, Moment: Auch das gibt’s jetzt auf dem iPad! Unter Bedienungshilfen -> Tippen -> AssistiveTouch -> Aktive Ecken könnt Ihr jetzt wunderbar einstellen, was passiert, wenn Ihr die Maus in irgendeine der vier Ecken schiebt. Dafür muss allerdings die „Verweilsteuerung“ aktiviert sein, zudem solltet Ihr die Zeit von 2 Sekunden auf eine oder weniger setzen. Dann fluppt das (fast) so schön wie am Mac.

Die zweite Taste geht. Scrollen mit der Magic Mouse 1 hingegen nicht.
Die zweite Taste geht. Scrollen mit der Magic Mouse 1 hingegen nicht.

Ein Hoch auf die Barrierefreiheit!

Übrigens braucht Ihr für die Maussteuerung nicht einmal eine separate Maus: Apple hat (endlich) auch eine vernünftige Tastatursteuerung ins iPad-Betriebssystem integriert. Das wäre zwar schon 2010 sinnvoll gewesen und ist jetzt, wo Mäuse unterstützt werden, zwar sinnvoll, aber irgendwie zu spät. Schließlich konnte schon das Ur-iPad Tastaturen verbinden, ließ sich aber nicht darüber steuern. Das ist jetzt vorbei, es gibt sogar eine Tastaturmaus unter Bedienungshilfen -> Touch -> AssistiveTouch.
Und das ist auch gut so, denn all das sind wunderbare Funktionen, um die Barrierefreiheit des iPads massiv zu erhöhen. Und zwar nicht nur für Menschen mit Behinderung, sondern auch für Anwender, bei denen der Computer per se eine Barriere darstellt. Die Mausunterstützung selbst ist durch die verstreuten Menüs und manche Hakelei aber nicht ganz so barrierefrei – es bleibt zu hoffen, dass Apple das ganze Funktionsspektrum in künftigen iPadOS-Versionen noch verbessert.

Es gibt jetzt sogar endlich eine Tastaturmaus.
Es gibt jetzt sogar endlich eine Tastaturmaus.

Fazit: Was lange währt…

3643 Tage hat das jetzt gedauert. 3643 Tage, in denen Millionen Menschen weltweit für simple Aufgaben wie Copy & Paste die Finger verrenkt und in ihren Muttersprachen geflucht haben, weil es nicht klappte. 3643 Tage, in denen Menschen wie ich sich gewünscht haben, dass dieses ominöse Tablet doch endlich mal eine Maus bekommt, um sinnvoll einsetzbar zu sein. 3643 Tage, in denen ich zwar ein iPad haben wollte und hatte, aber nie so richtig wusste, warum eigentlich. Doch diese entbehrungsreichen 3643 Tage sind jetzt Geschichte: Nur eine Dekade nach dem ersten iPad hat der Größte Computerhersteller Aller Zeiten erkannt, dass ein Computer eine Maus braucht. Und dafür gesorgt, dass dieses ansonsten so wunderbare Gerät nun auch endlich mal wirklich produktiv benutzt werden kann.

Christian Rentrop

Diplom-Journalist, Baujahr 1979. Erste Gehversuche 1986 am Schneider CPC. 1997 ging es online. Seither als Schreiberling in Totholzwäldern und auf digitalen Highways unterwegs. Öfter auch auf der Vespa oder mit dem Wohnwagen unterwegs. Seit 2020 Tochtervater, dementsprechend immer sehr froh über eine kleine Kaffeespende.

Ein Kommentar

  1. Hallo Herr Rentrop,

    in 2014 habe ich einen Artikel geschrieben, der ebenfalls in diese Richtung zielte und vielleicht sogar aus der heutigen Perspektive noch interessant sein könnte: The Smarter Phone (oder: Zeig mir den Zeiger),

    Viele Grüße
    Kurt Andro

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