Audio & VideoMeinung

Apple Music, Spotify und Co. vernichten jeden guten Musikgeschmack

Heute geht Apple Music an den Start, eine Flatrate für Musik. Damit springt auch Apple auf den Zug des Musikstreamings auf, mit 9,99 Euro im Monat sauber als Spotify-Konkurrent eingepreist und auf den ersten Blick ein gutes Angebot gegenüber dem Einzelkauf von Musik. Mit Apple steigt einer der größten Player ins Streaming-Geschäft ein. Auch wenn sich Apple wieder einmal als Retter der Musikindustrie inszeniert, ist es doch sehr wahrscheinlich, dass Apple Music der Musik, wie wir sie kennen und lieben, endgültig den Todesstoß versetzen wird. Denn Streaming ist die Pest.

Apple Music ist der Tod der Musik!

Ich schmiss kürzlich eine Party. Nach viel guter Musik und viel mehr Bier, als der Abend so richtig in Fahrt war, kam dann, was kommen musste, nämlich ein angeschickerter Partygast mit den Worten: „Spiel doch mal ‚Atemlos‚“. Natürlich hätte ich mir jetzt Sorgen um die Qualität meines Bekanntenkreises machen können, aber Helene Fischer ist natürlich nicht ernst gemeint, die hört man immer nur ironisch. Hören will man (oder meistens frau) sie aber dann aber trotzdem auf jeden Fall, die Person besteht förmlich drauf. Ob aus Gründen des narzisstischen Ironiebeweises oder eines metaironischen Echtfanseins wird dann ganz schnell unklar. Früher konnte man jede Diskussion diesbezüglich sofort unterbinden, sechs einfache Worte reichten aus: „So einen Mist hab ich nicht!“ Diskussion beendet, die Party konnte weitergehen, und zwar mit guter Musik.

Heute heißt es dann: „Dann mach‘ doch eben Spotify auf.“ Spotify. Und künftig Apple Music. Das bedeutet Vollzugriff auf das gesamte musikalische Panoptikum, ohne Gegenargumente. Damit die Berufsironiker nach Helene auch noch anderen geschmacksbefreitem Partygedudel lauschen können. Börks. Ich habe, weil ich einen weichen Moment hatte, nach der Anfrage meines Gastes dummerweise Spotify auf dem iPad, das als Musicbox diente, installiert. Anschließend ging es bergab, immer mehr Gäste kamen mit natürlich völlig ironisch gemeinten Musikwünschen daher und die Party glich wenig später, ironisch oder nicht, dem Höllentreiben „Scheunenparty“ in der rheinischen Provinz, Diskofox inklusive. Natürlich war auch der ironisch gemeint. Und die Kontrolle über mein iPad hatte ich auch verloren. Ich setzte mich also in eine Ecke, trank Rum-Cola ohne Cola aus großen Gläsern und hoffte, dass wenigstens meine Gäste Spaß haben würden.

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Apple Music kommt und tötet den Musikgeschmack.

Die Auflösung in globales Hipstertum

Ehrlich: Wer Spotify, Apple Music und Konsorten auf Partys einsetzt, kann sein Fest auch gleich mit der massentauglich vorgekauten Lärmkulisse des Formatradios schmeißen. Vier Sender voreingestellt, die Gäste müssen nur noch zwischen „Pop“, „Schlager“ und „Popschlager“ wählen. Der ganze App- und Dienste-Kram wäre überflüssig, der Wendler und die Helene kommen auch so aus dem Radio, dafür braucht man kein Streaming. Überhaupt braucht das niemand, es verdirbt die Musik, den Musikgeschmack und ja: Auch die Menschen dahinter. Früher war Musik ein Statement, man hörte Metal, Hip-Hop, Alternative, Punk, Ska, Soul oder eben Bravo-Hits.

Man war entweder Teil einer Subkultur, wollte es zumindest sein, oder man gehörte zu den armen Schweinen, deren Musikgeschmack seltsamerweise immer identisch mit den Chartsplatzierungen war und die nicht Songs zu Hits machten, sondern Hits zu ihren Lieblingssongs. Gut, die Charts sind lange tot, die Bravo-Hits führen das Nachleben eines Wiedergängers und die Subkulturen scheinen sich nach und nach in Richtung globales Hipstertum aufzulösen, das hier und da zitiert und seinen Ironismus eine Spur zu ernst nimmt. Erlaubt ist, was Spaß macht. Vollbärtige, auf Longboards rollende Altkleidercontainer und Mädchen mit großen Hüten und strähnigem Haar zitieren und persiflieren die alten Zeiten, sind aber keine Popkultur mehr.

Früher war alles besser. Echt jetzt.

Überhaupt, „die alten Zeiten“: Man muss gar nicht auf Helene Fischer und Konsorten herumhacken, derartige Musik gab es schon immer, sie wird immer erst im Radio hoch und runter gespielt, dann auf Bravo Hits und Co. zweitverwertet, bekommt danach noch einen letzten Tanz auf der „Best of“ des Jahres und verschwindet anschließend in der wohlverdienten Versenkung. Nur wenige Songs dieser Art werden wieder und wieder von scheinkreativen DJs ausgegraben, von Produzenten wieder und wieder gecovert und gemischt oder auf Ü30-Partys künstlich am Leben halten.

„Mambo No. 5“, „Bailando“ und „Baby one more time“ allerdings kehren wieder und wieder und erinnern die, die so spießig sind, dass sie Samstags „feiern gehen“ müssen an den einen Sommer ihres Lebens irgendwann Mitte der 90er, in dem sie frei, selbstbestimmt und verliebt waren. Auch wenn beim Anblick der im Takt zu Eurodancebeats stampfende „Beste Musik der 80er, 90er und von heute“-Hörer leicht vergessen wird, dass diese „Hits“ keinen Gehalt haben und bestenfalls ein lang vergessenes Gefühl zurückbringen. Nein: Früher mag vieles besser gewesen sein, die Musik selbst war es definitiv nicht. Einzig ihre Handhabung, die war deutlich tiefgehender, weil eindeutig und klar definiert.

Plattenkaufen!

Ich stamme aus einer Zeit, in der man Musik noch wohldosiert zu sich nehmen musste. Wer Musikrichtungen jenseits des Chartspops mochte, musste CDs kaufen. Eine CD kostete 33,95 DM (für die Jüngeren: 17 Euro) und ich musste mir genau überlegen, welches Album ich jetzt vom hart ersparten Taschengeld zulegen wollte – und welches nicht. Trotz Vorhören in Musikgeschäften nicht selten eine harte Aufgabe. Aber man hörte das Album anschließend in Ruhe zuhause. Mehrfach, schließlich war es eine Investition. Von vorne bis hinten, bis man seine zwei, drei, manchmal auch mehr Lieblingssongs herausgefunden hatte. Viele Songs, die man anfangs nicht leiden konnte, gewannen mit der Zeit an Wert, wurden bedeutend und so konnte auch das typische „Album-Füllmaterial“, das künstlerisch oft weit über dem lag, was in den Charts auftauchte, irgendwann den Weg auf das Mixtape finden.

Wenn man Musik hören wollte, musste man sich entweder eine CD einlegen – oder man stellte eine Kassette für den Walkman zusammen. Stunden brachte ich als Teenager damit zu, die Songs so zusammenzustellen, dass sie nicht nur thematisch und von der Stimmung her, sondern eben auch möglichst effektiv auf die zwei Mal 45 Minuten eines Chromdioxyd-Bandes passten, das immer rund 20 Sekunden unbespielbares Bandmaterial am Anfang und Ende hatte, die ebenfalls berücksichtigt werden wollten. Das mag zeitaufwändig gewesen sein, dafür befasste man sich mit der Musik, las beim Überspielen die Songtexte, betrachtete die Fotos der Band im Booklet, checkte Laufzeiten und führte Listen über die verwendeten Lieder. So ein Mixtape war auch das perfekte Geschenk für die Liebste, denn es war in der Tat mit Liebe erstellt. Und die Songs kannte man inklusive Reihenfolge auswendig.

Heute dann Apple Music und Spotify

Dann kamen MP3s. Und nein: Ich bin kein Ewiggestriger, ich liebe MP3 oder genauer gesagt dessen Nachfolgeformat AAC. Als wir Ende der 90er begannen, Songs in lausiger Qualität aus dem ersten Napster mit 56K-Modems für Minutenpreise, für den wir die Musik auch hätten kaufen können, auf die Festplatte zu laden, schlugen wir zu. Das Napster-Universum war für mich weniger Raubkopierhimmel als vielmehr ein unendliches Füllhorn neuer Musik. Zahllose meiner heutigen Lieblingsbands, von denen ich längst alle CDs besitze oder zumindest ganze Alben als bei iTunes legal geladene AAC-Dateien besitze, fand ich ursprünglich in den Tauschbörsen. Und hoffte und wartete, dass die Musikindustrie statt lästiger CD-Kopierschutztechniken und albernen DRM-Formaten endlich eine sinnvolle Möglichkeit erfand, MP3/AAC-Dateien zu verkaufen, um die Bands zu unterstützen.

Denn ein großes Problem der 90er war, dass vieles einfach nicht auf dem deutschen Markt erhältlich war. Wer damals französischen Hip-Hop hören wollte, musste entweder nach Frankreich in ein Plattengeschäft fahren, jemanden kennen, der das tat, einen der raren Versandservices auftun oder eben raubkopieren. Insofern haben die Tauschbörsen – trotz aller negativen Seiten – abseits des Mainstreams auch neue Märkte für viele Künstler erschlossen. Als der iTunes-Store kam, war ich selig, kaufte aber weiterhin auch CDs, der Qualität wegen. Aber Playlisten oder gar Mixtapes? Im Sumpf der neuen Musikmassen ging das plötzlich unter, ich hörte einfach meine ganze Mediathek im Shuffle-Modus und wählte nach Stimmung bestenfalls einen bestimmten Künstler oder eine bestimmte Musikrichtung. Trotzdem kaufe und höre ich mir die Musik in der Regel noch in Albenform an und pflege Songs bis heute mit Erscheinungsdatum, Songtext und Cover ein. Auch meine CD-Sammlung habe ich noch, auch wenn die mangels CD-Player im Regal verstaubt.

Heute: Vorgefertigte Playlisten und der ganze Schund des bekannten Universums

Mit dem heutigen Tag jedoch dürfte alles anders werden: Millionen von iTunes-Nutzern werden schlagartig auf Apple Music umsteigen, eine Reichweite, die selbst Spotify nicht erzielen dürfte. An die Stelle von Alben treten Songs, eine Entwicklung, die schon mit den MP3-Onlinestores ihren Lauf nahm. Statt ganzer Alben werden Singles vermarktet, einzelne Songs werden jederzeit abrufbar, die Bezahlung richtet sich nach der Häufigkeit, mit der sie abgespielt werden, 0,2 Cent pro Song, der abgespielt wird. Schlimmer noch: Playlisten werden bei Apple Music bei Bedarf vorgefertigt, die unheilige „Genius“-Funktion stellte schon im normalen iTunes zusammen, was andere entschieden haben.

Der Musikhörer muss sich also gar nicht mehr mit der Musik befassen: Ein, zwei Klicks, schon hat er das, was er hören möchte, das bekannte Universum der Hits und Superhits. Für kleine, unbekannte Bands ist da kaum Platz, sie gehen in der Masse der Musik schlicht unter, von der bereits bestehenden Fanbasis vielleicht abgesehen. Hinzu kommt, dass auch Künstler und Labels künftig anders produzieren werden: Statt eines Albums als Gesamtkunstwerk dürfte, wie im Formatradio schon seit Jahren üblich, versucht werden, Einzeltitel möglichst effektiv auf Aufmerksamkeit zu trimmen, um sich vom restlichen Grundrauschen zu unterscheiden.

Das Album tritt in den Hintergrund, die Musik verwandelt sich vom gezielten Kauf in ein ungeplantes Abo-Modell. Künftig wird niemand mehr auf einer Party „so einen Mist habe ich nicht“ sagen können, denn das wäre schlicht gelogen. Stattdessen wird er Opfer der aufgesetzten Hyperironie seiner Gäste. Was bleiben wird, ist ein riesiges Alkoholproblem bei denen, die Musik der Musik und nicht ihrer Außenwirkung wegen mochten. Die Songs und Alben hörten, weil sie sie genießen wollten. Übrig bleibt ein lautes, übermächtiges Rauschen drittklassiger Songs, die in der breiten Masse erfolgreich sind. Wer wie ich beim Formatradio am liebsten weglaufen würde, weiß, dass Apple Music das vollenden wird, wozu Spotify längst angesetzt hat: Nicht weniger als die Vernichtung des guten Musikgeschmacks.

Christian Rentrop

Diplom-Journalist, Baujahr 1979. Erste Gehversuche 1986 am Schneider CPC. 1997 ging es online. Seither als Schreiberling in Totholzwäldern und auf digitalen Highways unterwegs. Öfter auch auf der Vespa oder mit dem Wohnwagen unterwegs. Seit 2020 Tochtervater, dementsprechend immer sehr froh über eine kleine Kaffeespende.

11 Kommentare

  1. Herzlichen Dank für diesen Artikel!
    Er ist mir so wunderbar aus dem Herzen geschrieben… :)

    Wie ist denn der Meinungsstand Mitte 2019?

  2. ..und die guten alten techno-tapes!!! alle medien sind nur noch ein kommerzgetrimmter entertainmentbrei, hätt ich damals geahnt, des heute die diktatur der durchschnitllichkeit herrscht……!!!kunst verkommt zur belanglosigkeit. und was kommt dann??

    1. Exakt. AAC ist MP4, MP3 eben MP3. Es verfügt über bessere Kompressionsroutinen und so weiter, weshalb ich es grundsätzlich MP3 vorziehe. Ich finde, dass man den Unterschied wahrnehmen (nicht: Hören!) kann zwischen 256er AACs und 320er MP3s, letztere klingen irgendwie flacher, weniger dynamisch. Überhaupt war AAC schon mit 128 KBit aus den ersten Apple-Store-Files ein riesiger Unterschied in Sachen Klangqualität zu den damals gängigen MP3s in gleicher oder höherer Qualität. Aber es soll ja Leute geben, die MP3 weiterhin für das Nonplusultra halten… dabei setzen Amazon und Co. nur wegen der höheren Kompatibilität auf diesen veralteten Standard.

  3. Natürlich entscheiden „Musikkenner“ wie Du und Konsorten was richtige Musik und was Schund ist. Mann, bin ich ein Dilettant. Und auch noch MAC User.

  4. Ganz so pessimistisch würde ich das nicht sehen. Beats Music war bekannt für die eben gerade guten von Menschen gemachten Playlists. Das was ich nun unter dem Punkt „Für dich“ in Apple Music finde, sind auch Alben. Mir fehlt jetzt nur noch ein Knopf: „Kein niveauloses Zeug spielen „.

  5. Wenn da nicht von ipad und aac die Rede gewesen wäre …, ich musste schon gucken, ob der Text nicht von mir ist. Allerdings hatte ich das übermächtige Rauschen drittklassiger Songs auch schon in den Neunzigern, aka jugend, auf Partys ständig im Kopf – es gab keine Spotifys, aber es gab Freundinnen, die dann doch heimlich die mit Metal, Punk, HipHop und Grunge vollgestopften Musikregale vieler Freunde mit Bravohits und Wolfgang Petry infiltrierten …* Und für Noch-nicht-aber-hoffentlich-bald-Freundinnen, dürfte sich auch der eine oder andere klammheimlich mit Kuschelrock eingedeckt haben. Kuschelrock und Kondome, gut, dass das vor einem Vierteljahrhundert noch peinlich berührt bei Saturn und Apotheke gekauft werden musste, sonst wäre vermutlich nur gev … ach egal.

    • Hier darf (muss) ich mich explizit ausschließen – ich habe mich gewehrt, die Versuche waren wenig ambitioniert, als Spätschaden ist nur übrig geblieben, dass ich dieses Four-None-Blondes-Gejaule, das mit dem Heeeeeeeeeyjeyjeeeeyjeyyyyy, nie wieder aus dem Kopf bekommen werde – Danke Frau W., äh – heut F.!
    1. AAC ist technisch einfach das bessere Format. Es ist der MP3-Nachfolger, nicht mehr und nicht weniger. Dagegen zu stänkern entzieht sich meinem Verständnis. Klar kann es DRM haben, muss es aber nicht. Die Qualität bei gleicher Bitrate ist jedenfalls deutlich höher als bei MP3.

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