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eLearning-Plattformen im Vergleich – Diplomarbeit 2004 vs. 2017

Vor 13 Jahren durfte ich an der FH Köln, die mittlerweile TU Köln heißt, eine Diplomarbeit mit dem schönen Titel eLearning-Plattformen: Open Source Software vs. proprietäre Software – Darstellung und Vergleich schreiben. Die Arbeit vergleicht die damals größten freien Plattformen mit den beiden proprietären Marktführern und beantwortet auf 133 PDF-Seiten die Frage, ob Open-Source-Plattformen generell mit proprietären Dickschiffen mithalten können – kurz gesagt: Ja. Was ist nun aus den Kandidaten von damals geworden?

Diplomarbeit als eBook

Abkürzung: Die Diplomarbeit gibt es als Book on Demand und mittlerweile auch als Hardcover-Buch – Ihr könnt aber auch einfach das PDF kostenlos haben, für eine dermaßen alte Software-Evaluation solltet Ihr kein Geld mehr ausgeben. Nicht, dass ich was dagegen hätte, aber die miese Amazon-Rezension würde ich auch als Autor sofort unterschreiben … Interessant könnte sie aber durchaus noch sein: Um sich die Plattformen von damals anzuschauen, um Argumente pro Open Source zu sammeln oder um Allgemeines rund um eLearning und Open Source zu erfahren. Und die entwickelte Systematik für den Vergleich ließe sich auch problemlos auf aktuelle Evaluationen anwenden.

Kurze Vorgeschichte

2004 war anders als heute. Heimcomputer hießen noch so, Laptops wogen so viel wie ein Kasten Bier, die Dot-Com-Blase war frisch geplatzt und die „Neuen Medien“ waren tatsächlich noch ziemlich neu. In Vorlesungen wurde uns beispielsweise diese komische neue Suchmaschine vorgestellt, die Platzhirschen wie Altavista oder Yahoo! künftig das Leben schwer machen wollte und komplett auf Werbung auf der Startseite verzichtete: Google. Das Internet wurde erst langsam von Nicht-Techies besiedelt und überall sprossen zarte Geschäftsmodelle aus dem Boden – aber es war vieles noch ein wenig, sagen wir improvisiert, unprofessionell.

qnap
ATutor und Moodle gibt’s bei QNAP per Klick – hätte ich damals schon gerne gehabt …

Heute ist es kein Problem, Plattformen wie Content Management Systeme, Blogs, LMS und so weiter zu testen. In aller Regel gibt es Online-Demos und dank der hervorragenden Test-Umgebung Xampp (Windows + Apache + MySQL + PHP + Perl) lassen sich die meisten Plattformen auch super einfach lokal testen. Zudem sind die meisten Projekte heute deutlich professioneller und die Kandidaten von damals vor allem gereift. 2004 war die manuelle Einrichtung eines Apache-Servers noch elende Frickelei, ganz zu schweigen von den den grausigen Tomcat-Grauseligkeiten. Und nur weil die Server irgendwann liefen, lief noch lange nicht jede Plattform …

eLearning war damals ein ziemlich neues, noch wenig beackertes Thema und der Markt tat, was er immer tut: Töten und konsolidieren.

Die Kandidaten von damals

Die beiden proprietären Marktführer damals: Blackboard und WebCT – hier wurde konsolidiert, 2006 hat Blackboard den Online-Lern-Pionier WebCT geschluckt. Die Arbeit legte nahe, dass das Open-Source-Segment sehr wohl eine interssante Alternative zum proprietären Segment war – und so verwundert es nicht, dass durch die Verschmelzung der beiden allerlei Nutzer zur quelloffenen, lizenzkostenfreien Konkurrenz wechselte.

Die Open-Source-Plattformen im Feld: Moodle, ATutor, Ilias, OpenUSS, Spaghettilearning, Claroline und Eledge. Bei einigen klingelt es vielleicht, andere dürften wirklich bestenfalls Insidern bekannt sein – erstaunlicherweise scheinen allerdings auf den ersten Blick alle Plattformen noch zu existieren, auch wenn Spaghettilearning längst auf den Namen DoceboLMS hört.

Was ist also aus den Learning-Management-System (LMS), in der Regel kleinere Projekte von Universitäten, geworden? Eine neue Auswertung gibt es aus naheliegenden Gründen nicht, aber ein kurzes „Where are they now?“/“Gestern und Heute“ ist Kurzweil für LMS-Historiker und Open-Source-Freunde, hilft vielleicht dem einen oder anderen, der sich heute mit LMS und deren Auswahl beschäftigt und beantwortet hoffentlich die Frage, ob meine damalige Einschätzung einigermaßen korrekt war ;) Und die war: Ja, Open Source kann mithalten und insbesondere Ilias, Moodle und ATutor können überzeugen.

Blackboard

Blackboards LMS hört auf den Namen BbLearn und scheint, Überraschung, Marktführer zu sein – zumindest bezüglich den USA, Kanada, Australien und GB und gemäß der Daten von edutechnica. Wie gesagt, das hier ist nur eine kurze Rückschau, von daher spare ich mir jetzt, Statistiken von wissenschaftlicher Qualität zu suchen. Ein kurzer Blick in die Demo aus Instruktor-Sicht: Alles scheint übersichtlich und gut bedienbar. Aber irgendwie hätte ich mit mehr Pomp gerechnet, letztlich ist die Oberfläche eine ziemlich simple Datenbank-GUI ohne jegliches Eye-Candy. Dafür gibt es viele, viele Optionen zum Erstellen von Kursen, beispielsweise direktes Aufzeichnen per Webcam und 16 verschiedene Typen von Prüfungsaufgaben.
Zur Demo.

lernplattformen
´Blackboard 2004
lernplattformen
Blackboard BbLearn 2017

Moodle

Sehr erfreulich: Schaut man sich die edutechnica-Zahlen von eben an, sieht man, dass Moodle je Nach Kategorie den zweiten oder dritten Platz belegt – nicht schlecht für ein 90er-Jahre-Produkt aus dem australischen Hinterland und nicht schlecht für meine damalige Einschätzung. Aus Lehrer-Sicht gilt für Moodle das gleiche wie für BbLearn: Schlicht, übersichtlich und viele Funktionen.
Zur Demo.

lernplattformen
Moodle 2004
lernplattformen
Moodle 2017

ATutor

ATutor kommt aus Kanada, wird nach wie vor aktiv gepflegt und steht ganz allgemein recht gut da. Vor allem unterstützt das LMS besonders viele Accessability- und Interoparability-Standards. Ein Blick auf die Lehrer-Seite ist dennoch ernüchternd: Auch kein Pomp, und dazu deutlich weniger schlicht und übersichtlich als Moodle. Die Oberfläche ist doch etwas unschönes Kuddelmuddel.
Zur Demo.

lernplattformen
ATutor 2004
lernplattformen
ATutor 2017

Ilias

Ilias beweist, dass es auch in Deutschland erfolgreiche Open-Source-Projekte gibt: Die Plattform ist nach wie vor sehr populär, wird an vielen Unis eingesetzt und allein die Tatsache, dass die Agentur für Arbeit Ilias für 100.000 Nutzer betreibt, spricht wohl eine klare Sprache (Quelle: Wikipedia). Das Backend hat bislang definitiv die beste Optik. Für die Navigation braucht es ein wenig, dann sitzt aber auch die. Und Funktionen gibt es auch reichlich. Auch hier gilt also: Ilias hat sich in der Tat durchgesetzt.
Zur Demo.

lernplattformen
Ilias 2004
lernplattformen
Ilias 2017

OpenUSS

OpenUSS aus Münster scheint einigermaßen tot. Die Links auf der Homepage führen ins Nirvana, es gibt seit Jahren kein Update – und auch keine Demo, daher hier nur der alte Screenshot.

lernplattformen
OpenUSS 2004

Spaghettilearning

Der schönste Name und irgendwie ein symphatisches Projekt – seit Version 2 heißt es DoceboLMS. Auf Sourceforge gibt es zwar aus 2016 noch ein Update, die Homepage ist aber tot und auch sonst ist nicht viel zu sehen vom Pastasystem. Schade, war aber zu erwarten.

lernplattformen
SpaghettiLearning 2004

Eledge

Letztes Update 2013, ansonsten nur tote Links, hier schein ein R.I.P. angebracht?!

lernplattformen
Eledge 2004

Claroline

Unsere Nachbarn aus Frankreich gehen mit Claroline ins Rennen – und immerhin, das Projekt scheint noch aktiv zu sein. Der große Wurf ist es vermutlich nicht geworden – ansonsten wären nicht weite Teile der Webseiten ausschließlich auf Französisch verfügbar. Und die Lehrer-Ansicht legt nahe, dass Claroline seit damals zumindest keine riesigen Sprünge gemacht hat, vielleicht war man ja einfach zufrieden. Alles ist sehr simpel und old-schoolig, funktional hängt es hinter Moodle oder Ilias hinterher und es gab auch einfach schon hübschere Interfaces.
Zur Demo.

lernplattformen
Claroline 2004
lernplattformen
Claroline 2017

Fazit

Hier mal ein Auszug aus der Arbeit zum Thema Nachhaltigkeit:

  • Eledge, OpenUSS und Spaghettilearning müssen in diesem Punkt nach Meinung des Autors als kritisch bezeichnet werden.
  • Die Projekte ATutor und Claroline sind weitgehend stabil zu nennen.
  • Moodle und Ilias sind die beiden größten und ältesten und somit zur Zeit sichersten OS Plattformen, die in dieser Arbeit behandelt werden.

Auch wenn dieser Artikel nur einen recht flüchtigen Blick auf die aktuellen Projekte wirft, scheint die Prognose einigermaßen treffend gewesen – und das Interessante daran? Nun, ich würde es so deuten, dass es heute eine verdammt gute Idee ist, nicht einfach blind proprietäre Lösungen zu kaufen, sondern sich intensiv mit Open-Source-Lösungen auseinanderzusetzen. Der oft zitierte Zweifel an der Nachhaltigkeit von Open-Source-„Alternativen“, ist jedenfalls einigermaßen obsolet. Man konnte schon bei den damals noch extrem jungen Projekten absehen, ob sie bestehen werden – Damals-Marktführer WebCT ist hingegen Geschichte.

Mirco Lang

Freier Journalist, Exil-Sauerländer, (ziemlich alter) Skateboarder, Dipl.-Inf.-Wirt, Einzelhandelskaufmann, Open-Source-Nerd, Checkmk-Handbuchschreiber. Ex-Saturn'ler, Ex-Data-Becker'ler, Ex-BSI'ler. Computer-Erstkontakt: ca. 1982 - der C64 des großen Bruders eines Freunds. Wenn Ihr hier mehr über Open Source, Linux und Bastelkram lesen und Tutonaut unterstützen möchtet: Über Kaffeesponsoring via Paypal.freue ich mich immer. Schon mal im Voraus: Danke! Nicht verpassen: cli.help und VoltAmpereWatt.de. Neu: Mastodon

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