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Meinung: Vom Leben nach dem Tod im Internet

Heute rief mich Facebook auf, einem entfernten Bekannten zum Geburtstag zu gratulieren. Wie üblich wollte ich den banalen Glückwunsch hinterlassen, wie schon zahlreiche „Freunde“ meines Bekannten vorher, doch einige Einträge auf der Pinnwand zwischen all den „Herzlichen Glückwunsch“-Postings machten mich stutzig: „Trink einen mit Petrus“ stand da. Oder „danke für die schöne Zeit, wo immer Du jetzt bist.“ Schnell war klar: Mein Bekannter war im vergangenen Jahr offenbar verstorben – und schlurft nun bereits seit neun Monaten als Facebook-Twitter-Zombie durch das Internet. Das ließ mich nachdenklich werden: Scheinbar treibt sich da ein Toter im Internet herum.

Vom Leben nach dem Tod

Mein Bekannter und ich – Freund würde ich ihn auf keinen Fall nennen – kannten uns nur, weil sich im Leben eben Lebenswege treffen. Kindergartenkumpel, Mitschüler, Kommilitonen, Freundinnen und Partybekanntschaften, Freunde von Freunden und Arbeitskollegen lernt man täglich kennen, lieben oder hassen. Manche werden Freunde, manche Feinde, manche sind einem einfach egal. Aber Facebook vereint sie alle als Facebook-Freunde. Mein Bekannter war mir weitestgehend egal, trotz eines gemeinsamen Lebensabschnitts. Er war einer dieser Kontakte, die man in den sozialen Medien behält, weil man möglicherweise eines Tages davon profitieren könnte. Als Freiberufler ist man Opportunist. Man drückt mal hier auf „Gefällt mir“ und hinterlässt dort einen Kommentar, sonst ist da nichts.

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Was passiert nach dem Tod mit den Daten im Web?

Facebook-„Freunde“

„Facebook-Freund“ ist sowieso der größte Selbstbetrug des 21. Jahrhunderts. Insofern hielt sich auch der persönliche Verlust für mich in Grenzen. Schlimmer war das Todesalter – der Mann war gerade 35 – sowie die Tatsache, dass mich eine Google-Suche auf eine Todesanzeige stieß. Außerdem fand ich einen letzten, neun Monate alten Tweet, der ein Bild aus einem Krankenhaus zeigt. Wer mein altes Blog verfolgt hat, weiß, dass ich 2007/2008 mit einer Krebserkrankung zu kämpfen hatte, dementsprechend empfindlich bin ich diesbezüglich. Aber in diesem Post soll es nicht um Krebs oder mich gehen, auch nicht um meinen verstorbenen Bekannten, dessen Hinterbliebenen ich hiermit mein tiefstes Beileid ausrichten möchte. Vielmehr soll es darum gehen, was nach dem Tod eigentlich mit Facebook, Twitter und Co. passiert – weil bislang offensichtlich niemand die verschiedenen Profile des Verstorbenen angefasst hat.

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Manchmal geht es schneller, als man denkt. Auch bei jungen Menschen.

Auf Ewigkeit ein Zombie im sozialen Netzwerk?

Mein Bekannter geistert aktuell als Facebook-Untoter durch die Netzwerke. Bis zum Ende von Facebook wird jeder seiner „Freunde“ jedes Jahr daran erinnert, ihm zum Geburtstag zu gratulieren, wenn sich nicht jemand ein Herz fasst, um das Profil in den Gedenkzustand zu versetzen oder zu löschen. Seine Tweets sind noch online und wer weiß, welche Profile er noch hatte. Hinzu kommen E-Mail-Konten und Cloud-Dienste mit möglicherweise wichtigen Informationen für die Hinterbliebenen. Online-Bezahlsysteme wie Paypal, auf denen eventuell noch Geld liegt. Konten bei Amazon, Ebay und anderen Online-Shops mit laufenden Bestellungen oder Retouren. Und nicht zuletzt ist da der Rechner, das Tablet und das Smartphone. Geräte und Dienste also, bei denen jeder Lebende normalerweise gut daran tut, sie mit einem sicheren Passwort vor Zugriff Dritter zu schützen.

Das Problem dabei: Das, was im Leben gut ist, ist im Tod eine Katastrophe für die Hinterbliebenen. Sichere Passwörter, die nirgends außer im Kopf des Verstorbenen hinterlegt sind, dazu verstreute Profile bei Dutzenden von Diensten, in denen sich irgendwelche wichtigen Daten – und wenn es nur Fotos sind – befinden könnten. Der digitale Nachlass also, der möglicherweise Wert für die Hinterbliebenen hat oder sogar von übergeordnetem Interesse ist, wenn es sich bei dem Toten zum Beispiel um einen Schriftsteller oder einen Fotografen handelt. Und so kann es passieren, dass der Verstorbene für immer durch’s Netz spukt, die Erben aber partout keinen Zugriff auf die Daten haben. Eine schlimme Situation für die Hinterbliebenen und sicher nicht im Sinne des Verstorbenen, es sei denn, er war ein bekennender Aluhut-Träger.

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Facebook ermöglicht es Hinterbliebenen, Profile zu löschen oder in den Gedenkmodus zu schalten.

Das Problem wird größer

Das Problem ist: Jeden kann es jederzeit treffen. Der Bus, den man übersieht, wenn man bei Rot über die Ampel rennt. Die heruntergefallene Zigarette bei 140 Sachen auf der Autobahn. Der zu gierig gegessene Lachs mit der Gräte. Der ganz banale Herzinfarkt, Schlaganfall oder eben der elende Krebs, der erst gestern Lemmy von Motörhead dahinraffte. Die Zahl möglicher Tode ist groß und in jeder Sekunde des Lebens präsent. Doch das verdrängen Menschen, gerade wenn sie noch unter 60 sind. Sie denken: Mich wird es schon nicht treffen, ich bin zu jung/zu gesund/zu glücklich/zu verliebt.

Gevatter Tod überrascht die meisten im falschen Moment. Mit zunehmender Vernetzung und der Alterung der Netzgemeinde nimmt das Problem zu. Denn während die analoge Generation noch alles ausdruckt und abheftet, neigen die jüngeren eher dazu, alles als Datei auf dem Rechner oder in der Cloud abzulegen. Ich habe spontan überlegt, bei wem ich Passwörter erraten oder auf die Daten zugreifen kann, sollte die Person plötzlich versterben – ich habe niemanden gefunden, auch im engeren Familienkreis nicht. Auch meine Zugangsdaten sind sicher und damit für meine Familie und Freunde nicht verwendbar. Falls jemand sterben sollte, könnte es also schnell knifflig werden.

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Profile im Social Web, Konten bei Dropbox und Co., Paypal-Zahlsysteme und ähnliches: Die digitale Persönlichkeit im Netz ist im schlimmsten Fall unsterblich – und kann von niemandem mehr genutzt werden.

Was passiert nach dem Tod mit dem Online-Konto?

Genau deshalb sollte jeder – wirklich jeder! – für den Fall der Fälle Vorsorge treffen. Seit meiner Erkrankung ist mir diese Tatsache schmerzlich bewusst, geändert habe ich jedoch nichts, auch weil jede Regelung natürlich auch den Missbrauch beinhalten kann. Immerhin: Soziale Netze wie Facebook, Google und Twitter geben Hinterbliebenen nach Einreichung der Sterbeurkunde und/oder des Erbscheins die Möglichkeit, Konten zu schließen. Datenzugriff erhalten sie jedoch nicht zwangsläufig. Viele Dienste – etwa Yahoo! und damit auch Flickr – sind hier weniger kooperativ, hier ist keine Kontolöschung vorgesehen, möglicherweise zeigt sich der Support aber bei Vorlage der Sterbeurkunde gnädig. Letztlich entscheidet aber die AGB, wie der Dienst mit den Daten verfährt, Erben können in der Regel bestenfalls das Konto schließen, nicht jedoch Daten herausziehen. Wer also nach seinem Ableben nicht wie mein Bekannter als digitales Gespenst im Netz herumspuken möchte, sollte also rechtzeitig einige Vorkehrungen treffen.

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Wenn das Ende kommt, müssen die Hinterbliebenen auf die Daten zugreifen können.

Den digitalen Nachlass regeln

Doch wie genau lässt sich der digitale Nachlass regeln? Die einfachste Methode wäre natürlich, alle Passwörter und Zugangsdaten zu sammeln und ausgedruckt an einem sicheren, aber für die Erben fassbaren Ort – etwa einem Tresor, einem Bankschließfach, einem Notar oder an einem anderen zuvor abgesprochenen Ort – aufzubewahren. Der Aufwand dafür ist relativ hoch, bei regelmäßigen Passwortänderungen muss jedes Mal auch die hinterlegte Liste geändert werden. Einfacher wäre es daher, alle für das digitale Vermächtnis relevanten Infos zum Beispiel einem Passwort-Safe oder einfach als Liste in Word, Excel oder einem anderen Office-Programm zu pflegen und regelmäßig auf ein für die Erben zugängliches Medium zu kopieren. Das allerdings widerspricht dem alltäglichen Sicherheitsgedanken – die Listen könnten in den falschen Händen zu Lebzeiten bis zum Ruin führen. Denn dummerweise ist alles, was für die Erben zugänglich ist, auch grundsätzlich zu Lebenszeiten unsicher, da schlimmstenfalls Dritte – Einbrecher, der Nachwuchs oder Pflegepersonal – diese Dinge theoretisch auch finden können – was also tun?

Eine gute Möglichkeit ist eine einfache Verschlüsselung der Kennwörter über einen Schlüssel, den man mit einem vertrauenswürdigen Angehörigen vereinbart. Ein Passwort wie „Test123“ könnte über einfache monoalphabetische Substitution mit einem Schlüssel versehen werden, im einfachsten Fall zum Beispiel durch verschieben der Buchstaben/Zahlen im Alphabet. Aus „Test123“ würde auf diese Weise in der Liste „Uftu234“, womit das Passwort für jeden, der den Schlüssel nicht kennt und der die Liste unbeabsichtigt in die Hände bekommt, unbrauchbar wird. Webservices für die digitale Nachlassverwaltung wie Deathswitch gab es zwar bereits und waren eine gute Idee – haben aber kaum ein tragbares Geschäftsmodell; wer will schon monatliche Gebühren zahlen, um im Falle des Todes alles geregelt zu haben? Zudem müssten die Erben ja ebenfalls informiert werden, dass der Dienst genutzt wird. Und auch die Konto-Löschung durch den Bestatter ist nicht mehr als ein Service, der den Hinterbliebenen die Arbeit abnimmt, Profile im Netz zu suchen und entfernen zu lassen.

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Dienste wie Deathswitch gab es bereits, allerdings fanden sie kein tragbares Geschäftsmodell.

Fazit: Am Ende sind wir alle tot – und die Daten sind noch da

Auch wenn man als gesunder, junger Mensch dazu neigt, keine Vorsorge zu treffen, weil man nicht damit rechnet, demnächst zu sterben: Meine Lebenserfahrung zeigt mir, dass es jeden jederzeit treffen kann. Und auch statistisch unwahrscheinliche Vorfälle sagen nichts darüber aus, was im Einzelfall passiert. Menschen sterben auch in jungen Jahren, sei es bei Verkehrsunfällen, fehlgelaufenen Operationen oder eben an Krebs oder anderen zum Teil banalen Krankheiten, und jeder, der es seinen Hinterbliebenen nicht unnötig schwer machen.

Eine aus meiner Sicht sinnvolle Möglichkeit ist daher, zu Lebzeiten alle Regeln zur Passwortsicherheit einzuhalten, die Passwörter aber auf dem ebenfalls gesicherten Rechner oder einer Cloud abzulegen. Das Passwort zu diesem Rechner sollte man jemandem, dem man wirklich vertraut, geben. Das können die Eltern sein oder die Geschwister, vielleicht auch der (Ehe-)Partner oder der beste Freund. Wichtig ist, dass diese Person nicht nur vertrauenswürdig ist, sondern eben nach dem Tod auch Zugriff auf den Rechner oder die Cloud hat. Nur so können derzeit Daten gerettet und Profile sicher gelöscht werden. Gegen eventuelle Erbstreitereien kann man zu Lebzeiten ohnehin nichts unternehmen. Was man jedoch vermeiden kann, ist für aller Ewigkeit als Social-Network-Zombie im Netz zu spuken und jährlich schmerzhafte Geburtstagsgrüße zu erhalten, wie es bei meinem Bekannten der Fall ist.

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Am Ende sind wir alle tot – und sollten den Lebenden die Chance geben, persönliche Dinge weiterzunutzen.

Hier übrigens eine interessante Website zu dem ganzen Themenkomplex „Sterben im digitalen Zeitalter“.

Ein kleiner Nachtrag: Ich habe Facebook inzwischen gemeldet, dass der Kollege verstorben ist. Er tauchte schon wieder zwecks Geburtstagsgrüßen auf.

Christian Rentrop

Diplom-Journalist, Baujahr 1979. Erste Gehversuche 1986 am Schneider CPC. 1997 ging es online. Seither als Schreiberling in Totholzwäldern und auf digitalen Highways unterwegs. Öfter auch auf der Vespa oder mit dem Wohnwagen unterwegs. Seit 2020 Tochtervater, dementsprechend immer sehr froh über eine kleine Kaffeespende.

3 Kommentare

  1. Also mir persönlich ist furzpiepegal, was mit meinem digitalen Kram nach meinem Tod passiert, aber es drängt sich mir eine etablierte Lösung auf: Passwort für Passwortsafe in ein Bankschließfach – Zugriff nur für Erben. Fertig.

    1. Als bekennender Aluhutträger ist das für Dich sicher die beste Lösung, wenn auch nur mittelgut für die Erben, sofern der Rechner z.B. verschlüsselt ist. Aber es geht freilich auch, gute Idee! :)

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