Meinung

Saturn, 90er, PC-Abteilung: Azubi gibt Millionen für Spiele aus

Nein, Lehre im Einzelhandel klingt nicht nach Volltreffer - kann sie aber sein, Dispo sei Dank!

Die Ausbildung bei Saturn hatte durchaus Ecken und Kanten, aber im Endeffekt muss ich sagen: Es hat mir sehr viel gebracht! Und das lag sicherlich an meiner Arbeitseinstellung und ebenso daran, dass Saturn Lehrlinge nicht einfach als billige Mulis verheizt hat. Nun, jedenfalls nicht grundsätzlich. Und so hatte ich das Glück, eigenständig wirtschaften und den Umgang mit anderer Leute Geld lernen zu dürfen.

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Kaufmann, nicht Verkäufer

Die "Lehre zum/zur Kaufmann/-frau im Einzelhandel" ist in den meisten Fällen wohl tatsächlich kein Volltreffer. Ich erinnere mich an Mitschülerinnen, die sich in der Berufsschule darüber beschwerten, Parkhäuser fegen zu müssen - was zum Beruf des Tischlers gehört und auch in kleinen Läden passend ist, wo Dreck anfällt und alle alles machen. Aber auch der Kaufhof hat seine beiden Azubis das Center-Parkhaus fegen lassen - unangemessen! Aber sowas ist Teil der Realität.

Der größte Teil der Realität im Einzelhandel: Lange Arbeitstage, schlechte Bezahlung, stetiger Stress ohne Ruhepausen, drei bis vier Monate Urlaubssperre fürs Weihnachtsgeschäft, Kunden ohne Verständnis und umso mehr Anspruch, trockener Mund vom ständigen Reden, angeschwitzte Klamotten - vor allem aber eine Tätigkeit ohne großen Gestaltungsspielraum. Das gilt insbesondere für größere Läden mit mittelspanndendem Sortiment. Die Azubine im Zwei-Leute-Plattenladen dürfte es besser haben.

Spiele für Millionen

Und auch ich im Saturn hatte es besser! Im zweiten Lehrjahr habe ich die Disposition für die Software-Abteilung übernommen. Was heißt das? Nun, ich habe Software eingekauft, mich um den Bestand/das Lager gekümmert, Retouren bearbeitet, die Planung für Aktionen, die Inventur und was sonst noch dazu gehört.

Ganz praktisch hieß das: Ständig kamen Vertriebler von Software-Herstellern und -Distributoren vorbei und wir sind die Bestellungen für den nächsten Monat durchgegangen, 10 hiervon, 20 davon. Und wer jetzt denkt, der faule Einzelhandels-Azubi hätte da bequem beim Kaffee im Büro gesessen - Pustekuchen. Die Meetings haben immer vorne im Laden stattgefunden, mitten unter Kunden, auf den Drucker-Paletten. Und glaubt mal ja nicht, die hätte es interessiert, dass ich gerade beschäftigt bin ...

Im Software-Bereich war es erfreulicherweise üblich, dass man bei vielen Produkten ein Retourenrecht hatte. Wenn ich also 100 Spiele bestellt und nur 60 verkauft hatte, konnte ich die übrigen 40 Spiele wieder zum Anbieter zurück schicken. Wenn auch nicht alles und nicht in beliebigen Mengen. Vorteil für den Laden: Weniger Risiko, ein Produkt nicht vorrätig zu haben und hübschere Präsentation. Nachteil: Temporäre Kosten, Platzbedarf, zusätzliche Arbeit mit Retouren. Vorteil für die Vertriebler: Sie können den Markt sättigen - wer eine Software kaufen will, kann das auch.

Der ganze Dispo-Kram war eine schöne Abwechslung und als Azubi freut man sich schon, wenn einem Verantwortung und Gestaltungsspielraum übergeben wird - nun, Ich mich zumindest. Und es hat durchaus Spaß gemacht, weitgehend unkontrolliert mit rund 2 Millionen D-Mark zu jonglieren und eine ganze Software-Abteilung gestalten zu dürfen. Und das Feedback der damaligen Zocker war eigentlich ziemlich gut. Hat sich wohl gelohnt, so ziemlich jede Demo anzuzocken, die über den Laden und Zeitschriften-CDs zu bekommen waren.

Übrigens: Bei Konsolenspielen gab es damals meist keine Retouren - Firmen wie Nintendo haben für sich immer einen Sonderstatus erwartet ... Das führte auch dazu, dass wir irgendwann mal (wenn ich mich recht entsinne) 100 Formel-1-Spiele für Konsole im Laden hatten, die nicht ich, sondern der Abteilungsleiter geordert hatte - und vielleicht ein Drittel hat sich quasi sofort verkauft, ein knappes Drittel über die Zeit und dann saß ich ewig auf einem lästigen, hohen Lager-Posten ... Danke Herr S. ;)

Peinlicher Anfang ...

Nach zwei, drei Monaten ist die Dispo in Leib und Seele übergegangen, aber ich erinnere mich noch an mein erstes Gespräch mit einem der wichtigeren Distributoren (ich glaube Kingsoft, bin aber nicht sicher). Solche Distributoren haben meist viele Dutzend Titel im Angebot, ein paar Top-Titel, viel Mittelmaß und haufenweise Ausschuss.

Wir gehen also die Liste durch und ich wollte keinen Ausschuss und wenig Mittelmaß - ich wollte eigentlich nur das gute Zeugs. Nach einem halben Dutzend Neins meinte der Typ nur "So geht das nicht." und ist zu meinem Abteilungsleiter gelatscht - und ich durfte lernen, dass die Dispo auf Geben und Nehmen basiert und das eben auch Billo-Produkte umfasst.

Das waren meistens kleine Indy-Spiele, Druckereien oder Nischen-Anwendungssoftware in kleinen Jewel-Case-Verpackungen. Und es hat sich durchaus einiges davon verkauft. Auch wenn ich bis heute nicht verstehe, warum die elenden Kunden das Jewel-Case-Regal jeden verdammten Tag in ein komplettes Chaos verwandelt haben ... Kann man ein Produkt nicht wieder dahin zurückstellen, wo man es hergenommen hat? Offensichtlich nicht, Augen zu und rein.

Zum Thema Dispo gäbe es noch massig zu erzählen, aber mit dem letzten Absatz überschritt ich meine selbst gestecktes Limit von 5.000 Zeichen pro Folge ;)

In der nächsten Episode geht es aber weiter, mit einem Dispo-Sonderfall, der eine Brücke zu meinem ersten Post-Studiums-Job bei Data Becker schlägt.

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Mirco Lang

Freier Journalist, Exil-Sauerländer, (ziemlich alter) Skateboarder, Dipl.-Inf.-Wirt, Einzelhandelskaufmann, Open-Source-Nerd, Checkmk-Handbuchschreiber. Ex-Saturn'ler, Ex-Data-Becker'ler, Ex-BSI'ler. Computer-Erstkontakt: ca. 1982 - der C64 des großen Bruders eines Freunds. Wenn Ihr hier mehr über Open Source, Linux und Bastelkram lesen und Tutonaut unterstützen möchtet: Über Kaffeesponsoring via Paypal.freue ich mich immer. Schon mal im Voraus: Danke! Nicht verpassen: cli.help und VoltAmpereWatt.de. Neu: Mastodon

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