
Mein erster Tag bei Saturn: An der Wand läuft auf 20 Monitoren der Trailer für das Spiel "Ripper", alles ist voller neuer Eindrücke, der Geruch von Luft aus einer 70er-Jahre-Luftversorgung, die erst mal den Weg durch den Kaufhof nimmt, plappernde Kunden, ständiges Gefiepe und Gebimmel, Durchsagen. Und es läuft der Trailer für das Spiel Ripper. Tag zwei bei Saturn: Es läuft der Trailer für das Spiel Ripper. Tag drei ...
Zur Kolumne "Saturn, 90er, PC-Abteilung"
Blauer Muschelkult
Es gab damals nicht so viele hochwertige Spiele, noch weniger ansprechende Trailer und verfügbar war gleich noch weniger. Und es war halbwegs aufwändig, die prähistorischen Rechenkisten überhaupt dazu zu bringen, irgendetwas zuverlässig abzuspielen.
Mit anderen Worten: Tag 60 bei Saturn: Es läuft der Trailer für das Spiel Ripper - hier isser:
Für damalige Verhältnisse ein großartiger Trailer! Christopher Walken, Paul Giamatti, Karen Allen, Burgess Meredith, John Rhys-Davies - das würde auch einem Hollywood-Blockbuster gut stehen. Dazu "(Don't Fear) The Reaper" von Blue Öyster Cult, ein absoluter Gänsehautgarant. Cool, oder?
Und jetzt bitte: Nochmal anhören. Und dann: Nochmal anhören. Und dann - nun, stellt es auf Dauerschleife, macht es erst nach 12 Stunden wieder aus und wiederholt das Prozedere die nächsten 60 Tage. Jeder Arzt, der noch bei Verstand ist, würde Euch danach ein paar Wochen in Kur schicken.
Ich zitiere mal aus einem taz-Artikel:
... 1989 wurde nach dem US-Einmarsch in Panama die vatikanische Botschaft, in der sich der Diktator Manuel Noriega versteckt hielt, 24 Stunden lang mit AC/DC und Metallica beschallt, bevor der Bösewicht endlich entnervt aufgab.
24 Stunden, beschissenes Weichei ... Über Wochen täglich 10 Stunden mit denselben 40 Sekunden Musik beschallt zu werden, dürfte nur sehr sehr knapp unter der Definition von Folter liegen. Und übrigens, Musik als Folter ist durchaus real und wird in der Wissenschaft betrachtet:
Jedoch sagen einige Überlebende, dass Formen von Musikfolter zu den schlimmsten Praktiken gehörten, die sie bei ihrer Inhaftierung erlebt hätten.
Ein Zitat aus Die zersungene Seele: Musik als Instrument der Folter - und nein, eine Nähe zu echter Folter mag ich hier nicht nahelegen! Dennoch: Es war eine zermürbende Erfahrung. Wahrscheinlich wurde sie nur dadurch gelindert, dass man eh den ganzen Tag unter Strom stand und keine 5 Minuten Ruhe hatte.
Jedenfalls habe ich das Spiel nie gespielt - hätte just wo ich darüber schreibe allerdings echt Bock drauf - und das elende Lied nie wieder gehört. Ihr kennt das, wenn man sich an etwas überfressen hat und es nie wieder mag? Man kann sich auch überhören ... Moment, das ist zweideutig. Man kann sich überbeschallenlassen. Hm, korrekteres Wort, aber auch nicht gerade griffig.
Egal, ich nehme den liedlichen Rat an und versuche keine Angst vorm Schnitter zu haben, aber die Angst vor "(Don't Fear) The Reaper" wird wohl für immer bleiben. Nach 10 Minuten würde ich vermutlich versuchen, an der nächst besten Muschel zu lecken, um mir eine Lebensmittelvergiftung einzufangen.
In der nächsten Episode erzähle ich dann mal davon, wie wiederum ich Kunden genervt haben dürfte - mit der simplen Aussage "36k-Modem genügt, locker!