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Meinung: „Weiß ich nicht“ gehört nicht ins Internet!

Neulich bei Amazon – Kundenfrage: „Geht das auch mit Leder?“ Kundenantwort: „Weiß ich nicht.“ Nächste Antwort: „Keine Ahnung, noch nicht probiert.“ Und schon bin ich im Hassmodus. Was stimmt denn mit denen nicht? Warum machen sie das Internet kaputt? Wieso wieso?

The Real World

Stehen sich zwei Menschen gegenüber. Sagt der Eine: „Wie spät ist es?“ Der Andere guckt ihn an und schweigt. Da ist wohl jedem klar: Was für ein Armleuchter. Na gut, er weiß nicht wie spät es ist, aber das kann man dann ja kundtun. Schließlich ist er persönlich gefragt worden. So steht da nun der mittlerweile genervte Fragesteller, wartet, starrt den Gefragten an, wartet, fängt innerlich an zu brodeln, wartet, wippt mit dem Fuß, wartet … und scheißt schließlich den Gefragten an: „ICH HAB‘ DICH WAS GEFRAGT, DU PENNER!“.

Aber das macht niemand. Wenn man es nicht weiß, sagt man das. Selbstverständlich.

Das Internet

Dieselbe Situation im Internet: Stehen sich zwei Menschen gegenüber … – ähh, eher nicht? Genau, da stehen sich keine Menschen gegenüber. Niemand wird persönlich gefragt. Es ist eine Frage an die ganze Welt – wer auch immer die Antwort hat, möge sie beantworten. Und genau das ist der Punkt: Die Frage ist ausschließlich dafür gedacht, die Antwort zu bekommen. Im realen Leben, von Angesicht zu Angesicht, verlangt es die Höflichkeit, zu sagen, dass man die Antwort nicht weiß. Fragende einfach zu ignorieren macht man nicht. Zumal ein „Weiß ich nicht“ hier einen Nutzen hat: Der Fragende kann weiterziehen und weiterfragen. Im Netz hingegen hat das absolut keinen Nutzen. Auch andernorts, wo man nicht persönlich angesprochen wird: Lehrer: „Wie viel ist 1.345 geteilt durch 4,5?“ Jan-Lillebror schnippt mit dem Finger und wird dran genommen: „Weiß ich nicht!“ Danke, 6, setzen Du Clown.

Ein Beispiel von Amazon: „AMASON Kunde“ ist ein Paradebeispiel für Antwort-Spam, Joachim könnte man zumindest unterstellen, dass er versuchen würde zu antworten, wenn ihm der (völlig unfähige) Fragesteller erklären würde, was er denn überhaupt will – Spam bleibt es dennoch. Und Silke, was willst Du uns sagen? Willst Du fragen, ob Du die Frage nicht verstehst? Soll ich jetzt „Keine Ahnung“ antworten? Wäre das hilfreich? Zumal: ?! kann man durchaus machen, um einer Frage Nachdruck zu verleihen, aber !? ergibt keinen Sinn … Aber ach, was soll man bei einer Frage wie „ist auch dzan über den stick zu sehen“ erwarten? Fünf Fehler bei acht Worten? Ernsthaft? OK, ist nur ein olles Forum, aber zumindest hätte man doch DAZN korrekt schreiben können, damit potenzielle Antwortgeber überhaupt wissen, worum es denn geht. Rechtschreibung und Grammatik kann man in Foren & Co. von mir aus nur halbherzig betreiben, aber die Schlagwörter sollten sitzen, liebe Fragesteller – Ihr wollt was von anderen!

amazon antworten dazn
Hilfreich ist das alles nicht.

Wieso? Warum? Weshalb?

Stellen sich zwei Fragen: Warum zum Geier antworten nicht persönlich angesprochene Menschen im Netz mit „Keine Ahnung“? Und warum nervt mich das so? Letzteres ist einfach: Ihr Pfeiffen verhunzt das Internet. Wenn ich so eine Frage sehe und mich die Antwort interessiert, will ich nicht erst drei Seiten lang scrollen, nur um von irgendwelchen Hirnis zu lesen, was sie alles nicht wissen. Der inhaltliche Wert ist gleich Null, der Nervfaktor enorm. Hier verlangt es die Höflichkeit, zu schweigen. Um es klar zu sagen: Ihr seid Spammer!

Ich meine, man stelle sich vor, alle Menschen würden so agieren. Stellt Euch vor, auf eine typische Kundenfrage bei Amazon, etwa „Wie lang ist das Kabel?“, würden 53.463 der 53.464 Käufer antworten, dass sie es nicht wissen. Am besten noch mit so wichtigen Zusatzinfos wie: “ … weil ich mich um meine Katze Kurt kümmern musste.“ Dann viel Spaß beim Auffinden der einzig relevanten Antwort.

relavante infos im bild
Spam: Je mehr „Ich weiß nicht“-Antworten es gibt, desto eher gehen relevante Infos unter.

Die Frage nach dem Warum hingegen ist schwierig. Verstehen diese Poster das Internet schlicht und ergreifend nicht? Glauben sie, nur sie, ihre Familie und Freunde wären über das Netz verbunden? Und jede Familie hätte ein eigenes Internet? Man würde genau auf ihre Antwort warten? Oder liegt es schlicht an Profilneurosen und irrwitzigem Narzissmus? Oder brutaler Langeweile? Drogen? Gehirnschnecken? Grassierender Wahnsinn?

Ernsthaft, ich brauche Hilfe. Ich verstehe es nicht. Jaaaaa, im Netz ist alles voller Hirnis, keine Frage. Und wenn mir jemand erzählen will, dass die Regierung die hiesige Bevölkerung gegen Moslems/Schwarzafrikaner/Chinesen/Regenbogenkühe/Schlümpfe austauschen und uns mit Chemtrails gefügig machen will – bitteschön, das ist zumindest ein Anliegen. Irre, aber es ergibt aus Sicht eines zermatschten Hirns durchaus Sinn. Der 11. September war eigentlich ein Schüleraufsatz von Neil deGrasse Tyson? Ja logo, immer her damit. Alles nachvollziehbar. Aber der Welt mitzuteilen, dass man etwas nicht weiß? Da gibt mein Hirn immer und immer wieder nur eine Assoziation statt einer Antwort aus:

Also liebe Menschen da draußen, helft mir, auch ich habe eine Frage: Warum tun Menschen das?

Mirco Lang

Freier Journalist, Exil-Sauerländer, (ziemlich alter) Skateboarder, Dipl.-Inf.-Wirt, Einzelhandelskaufmann, Open-Source-Nerd, Checkmk-Handbuchschreiber. Ex-Saturn'ler, Ex-Data-Becker'ler, Ex-BSI'ler. Computer-Erstkontakt: ca. 1982 - der C64 des großen Bruders eines Freunds. Wenn Ihr hier mehr über Open Source, Linux und Bastelkram lesen und Tutonaut unterstützen möchtet: Über Kaffeesponsoring via Paypal.freue ich mich immer. Schon mal im Voraus: Danke! Nicht verpassen: cli.help und VoltAmpereWatt.de. Neu: Mastodon

13 Kommentare

  1. Zumindest für die schlechte Rechtschreibung habe ich (teilweise) eine Erklärung: Wenn man eine Frage eintippt, nichts Brauchbares in den vorhandenen Antworten gefunden wird und man die Option bekommt, die Frage öffentlich zu posten, ändert Amazon die gesamte Frage – abgesehen vom ersten Buchstaben – auf Kleinschreibung. Dass man da als Fragensteller keinen Bock hat, den Mist wieder zu korrigieren, kann ich auch verstehen.

  2. Mir hat das im Kommentar beschriebene – und nun schon seit unzähligen Jahren unveränderte – Phänomen soeben zum x-ten Mal die Contenance geraubt, sodass ich jetzt einfach mal googeln musste, ob es da draußen noch jemanden gibt, der ebenfalls daran verzweifelt. Gibt es offenbar. Das löst das (eigentlich ja unbedeutende) Ärgernis zwar nicht, ist aber dennoch ein kleiner Trost. :)

    Den meisten Antwortenden dürfte durchaus bewusst sein, dass sie natürlich öffentlich posten, aber die persönliche Ansprache via E-Mail löst anscheinend dennoch diesen Reflex aus. Vermutlich vornehmlich bei eher einsamen Personen.

    Letztlich sollte Amazon das Problem doch auch kennen und in der Lage zu sein, in der entsprechenden Mail einen Disclaimer einzubauen. Nunja. – Ok, genug geärgert, weiter geht’s mit Antworten nach sachdienlichen Antworten durchforsten … ;)

  3. …wirklich wahr gesprochen, aber für mich sind die wirklich verachtenswerten die, die sich sieben Blogseiten lang Tipps zu ihrem Problem abholen, um sich dann mit „Danke an alle, ich hab die Lösung selbst gefunden“ für immer aus dem Forum zu verabschieden.
    Da wünsche ich mir dann einen IP-Verfolger mit Fernzerstörungsfunktion für alle angeschlossenen Geräte des Honks.
    Die sich legende Staubwolke bildet dann noch einen Satz auf dem Fußboden, der ihm erklärt, wofür er bestraft wurde!

  4. Richtig so. Ich bekam auf eine von mir zu einem Produkt bei amazon gestellte Frage die Antwort: „keine Ahnung“. Zweimal in drei Tagen. Autor: W.Herbert. Spammer an den Pranger! Ich erhalte eine Benachrichtigung per E-Mail, dass ich eine Antwort erhalten hätte freu und natürlich gleich nachguck. Für sowas?! Zeit kaputtgemacht.
    Vielleicht will W.Herbert ja nur den eigenen Kommentar-Zähler hochschrauben? Ich find’s armselig.

  5. Ich weiß es nicht.

    (sorry, den konnte ich mir nicht verkneifen. Ich stehe dem Phänomen genauso ratlos gegenüber, wie der Autor des Artikels)

  6. Oh Gott, ist die richtige Welt furchtbar, weil sie nicht nach den Regeln der Nerds funktioniert. Mal abgesehen von der teilweise mehr als zweifelhaften Ausdrucksweise des Verfassers und seinem Hang Andere – die seinem Interaktionsschema nicht entsprechen – zu beleidigen. ist das Beschriebene eher ein Problem der Moderation von Amazon oder ähnlichen Seiten. Die müssten die offensichtlich „unwichtigen“ Infos löschen. Warum machen sie das nicht? Richtig, weil sie Angst haben müssen sich von den (übrigens teilweise gleichen Leuten die hier „Spammer“ schreien) Schreibenden vorwerfen zu lassen Zensur zu üben oder (immer wieder gern genommen, wenn es irgendwie zu passen scheint) rassistisch zu sein. Da lässt man das lieber gleich ganz – getreu nach dem Motto: Lass die doch machen! Was ich übrigens gut verstehen kann. Schöne neue Internetwelt!

    Zudem – ist in der Tat das Problem, das Amazon-Kunden direkt und namentlich angeschrieben werden, wenn jemand eine Frage zu dem Produkt schreibt. Ich vermute mal, wenn Amazon das entpersonalisieren würde, wäre das Feedback noch geringer, weil sich dann niemand angesprochen fühlen würde. Wie gesagt, das sind nunmal die Probleme, wenn man virtuelle und richtige Welt miteinander verbinden will. Vielleicht wäre ein Amazon-Wiki der richtige Ansatz.

    1. Ja, speziell bei Amazon ist da was dran (siehe erster Kommentar), das persönliche Anschreiben ermuntert vermutlich Offline-Höflichkeit an den Tag zu legen, was ich grundsätzlich auch sehr schön finde. Wobei ich mir solche Mails jetzt mal angesehen habe und zu Amazons Ehrerettung sagen muss, dass sie nicht vorspielen, es handle sich um persönliche Fragen von einem Kunden an einen Kunden. Dennoch nicht schön. Das Wiki wäre in der Tat sehr lobenswert, oder eine redaktionelle Bearbeitung der Fragen/Antworten.

      Das eigentliche Problem ist aber weniger, dass ich Menschen nicht mag, die nicht so interagieren wie ich selbst. Als Nerd der ich wohl bin, falle ich da etwas aus dem Schema. Aber die Milliarden nutzloser Antworten im Internet sorgen dafür, dass es – gerade für Otto Normalverbraucher – wahnwitzig schwierig ist, benötigte Infos zu bekommen.

      Wirf mal einen Blick auf stackoverflow.com: Der Umgangston ist nicht immer der freundlichste, aber zum einen werden bereits schlechte Fragen ziemlich zügig gesperrt, korrigiert oder in andere Themenbereiche verschoben. Und Antworten können kommentiert und bewertet werden, so dass die beste/meist akzeptierte Antwort ganz oben steht – und von anderen Nutzern auch noch verbessert werden kann.

      Die Qualität bei Stackoverflow ist wirklich außerordentlich, nicht wenige Entwickler beginnen ihren Tag mit Kaffee und einem Blick auf die neuesten Fragen. Die Klientel ist natürlich auch eher in der Nerdwelt zu finden, letztlich sind es aber rigorose Regeln und Leute, die sie durchsetzen, die für die Qualität sorgen – auch (mmmh, vielleicht vor allem) Nerds spammen.

      Und nein, ich bin ganz und gar nicht dafür, dass irgendein Konzern zensiert – keine sozialen Medien, keine journalistischen Angebote vom Blog bis zur Tageszeitung, keine Literatur und so weiter. Aber um nochmal kurz zu Amazon zu kommen: Das ist ein Shop. Da geht es nur ums Verkaufen, sonst nichts. Und von mir aus könnte Amazon im eigenen Laden durchaus sagen, dass sie keinen Bock auf Aussage XY haben – tun sie aber nicht. Sie lassen völlig unqualifizierte Wertungen der Marke „Eigentlich toller Film, aber die Lieferung kam zu spät, darum nur 1 Stern“ genauso stehen wie die unendlichen Massen an von Anbietern eingekauften Positivwertungen. In der Tat wäre filtern hier schön, weil im Sinne des Kunden. Stell Dich mal in den Saturn vor einen Philips-Fernseher und schrei: „Philips Fernseher sind Mist, bloß nicht kaufen, meiner ist gerade mal 15 Jahre alt und jetzt geht die Fernbedienung nicht mehr – alles Betrug!“ Bei Amazon kein Problem – das ist sehr liberal, sehr gleichgültig oder einfach geschickt, ist schließlich auch Content.

      Wie Du schon festgestellt hast: Niemand filtert (Stackoverflow bleibt eine von wenigen Ausnahmen) kostenlosen Nutzer-Content – und auch miese Kommentare und unqualifizierte Bewertungen reichern eine Seite an. Zumindest sieht Google das so – glauben zumindest die SEO-Typen …

      Und genau darum versuche ich immer wieder, Menschen mit ein wenig, ein ganz klein wenig Medienkompetenz zu upgraden – und ja, ein leicht beleidigender Tonfall im Zuge eines Kommentars ist da ein probates Stilmittel (daneben stimmt auch, dass es mich ganz persönlich nervt, nervt, nervt …). Wir, die Nutzer, können das Internet selbst besser machen oder auf Konzerne und Politik als Regulativ vertrauen. Und da in beiden Bereichen zu wenige Nerds arbeiten, können wir uns das wohl abschminken ;)

    2. Der Artikel ist mit „Meinung“ beschriftet. Es steht jedem frei, ihn zu lesen – oder es bleiben zu lassen. Anders verhält es sich tatsächlich, wenn man unter zig Antworten (als Mensch ;-)) die einzig sinnvolle suchen muss.

  7. Die Leute werden schon persönlich angesprochen. Die Frage kommt per E-Mail wenn man das entsprechende Produkt bei Amazon gekauft hat. Und die meisten wissen nicht, dass wenn sie die Mail beantworten die Antwort auch auf der Amazon Seite erscheint. Sie denken, sie würden nur eine Mail beantworten.

    Das ist mir vor ein paar Jahren auch mal passiert.

    1. Das ist krass – und unverschämt. Ist mir tatsächlich noch nie untergekommen, und ich kaufe da ziemlich regelmäßig. Vielleicht sollte ich mal meine Mail-Historie durchblättern, ob ich sowas nicht sofort als Spam abgetan habe.

      Allerdings musste Amazon da tatsächlich nur als gerade präsentes Beispiel herhalten, im Grunde gilt das für alle Foren, etwa:
      Ob das eine gute Frage ist, sei mal dahingestellt - aber die Antworten sind es nicht ;)

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