Pro/Kontra: Artiphon Orba kaufen?
Das Artiphon Orba weckt Begehren - aber lohnen sich 100 Euro? Oder bleibt es bei drei Tagen Spaß?
Ein Besuch in der Quengelzone für Erwachsene und schon sind 100 Euro für das Musik-Spielzeug Artiphon Orba aus dem Portomonnaie gekrochen. Der Haben-Will-Faktor ist groß, vor allem, wenn man sieht, was die Menschen in der Werbung mal eben damit zaubern - eine komplette Band im Tennisballformat, es groovt, es scheppert, fantastisch. Ein Instrument, das man scheinbar wirklich spielt! Aber ist es nun Spielzeug, Gadget oder ernsthaftes Musikinstrument?
Was leistet das Artiphon Orba?
Das kleine Teil ist MIDI-Controller und Standalone-Synthesizer mit eingebauten 8-Step-Sequencer und vier "Instrumenten": Schlagzeug, Bass, Akkorden und Lead-Synthesizer. Es gibt eine Menütaste, um Instrumente zu wechseln, Aufnahmen zu starten, Tracks zu löschen oder die aktuellen Tracks abzuspielen.
Dazu kommen 8 Tasten, um die Instrumente zu spielen. Das Besondere: Die Touch-Tasten erlauben auch Vibrato, laute und leise Anschläge und weitere Effekte über verschiedene Gesten. Das Kippen des Geräts beinflusst den Ton ebenso wie Schütteln und selbst ein kurzer Schlag in die Hand entlockt dem Orba Töne. Ist die Aufnahme aktiv, laufen die 8 Steps durch und Ihr könnt etwas einspielen. Seid Ihr mit dem Instrumententrack zufrieden, geht es weiter mit den nächsten Instrumenten, bis ein ganzer Song steht. Instrumenten lassen sich auch einzeln löschen.
Es gibt einen Klinkenanschluss für Kopfhörer oder Aktivlautsprecher, aber auch einen integrierten Lautsprecher. Zudem einen USB-Anschluss zum Aufladen und zum Verwalten per Orba-App auf dem Rechner. In der App können andere Instrumente geladen werden, einzeln oder alle vier auf einmal als Song-Zusammenstellung. Auch als MIDI-Controller kann Orba genutzt werden, via Bluetooth oder USB.
Pro Orba
Pro 1: Orba funktioniert wunderbar als Standalone-Gerät. Der Lautsprecher ist erstaunlich gut für so eine kleine Plastikkugel, und laut genug, um beim Jammen mitzuspielen.
Pro 2: Die Bedienung ist wunderbar intuitiv - nach 20 Minuten habt Ihr alle Geheimnisse entdeckt und die Bedienung ist in Fleisch und Blut übergegangen. Naja, fast alle - Overdubbing oder nicht ist fast schon tricky ;) Mehr Plug&Play geht für einen Synthesizer dennoch nicht.
Pro 3: Als MIDI-Controller für Euer Lieblings-DAW ist Orba einfach nur fantastisch.
Pro 4: Musizieren mit dem Orba ist tatsächlich spielerisch. Es gibt keine Fingerakrobatik wie beim Lernen von Gitarrenakkorden und auch keine schiefen Töne! Orba ist so gestimmt, dass man die Töne nach Belieben aneinanderreihen kann, ein bischen wie bei einer Kalimba. Insbesondere die Bewegungssensitivität macht wirklich Spaß.
Pro 5: Die Instrumente selbst klingen ziemlich gut, zudem polyphon. Natürlich hält es keinem Vergleich mit professionell gesampleten virtuellen Instrumenten stand, wie etwa dem hier vorgestellten wunderbaren Spitfire Audio. Aber schon die vorgeladenen Standardsounds genügen für richtige Kompositionen.
Kontra Orba
Kontra 1: Es lassen sich (bisher) nicht so einfach selbst Sounds für Orba erstellen, man ist als normaler Nutzer auf die Vorgaben aus der App angewiesen. Andererseits gibt es im Orba-Forum einen Thread zum Thema Orba-Hacking.
Kontra 2: Brauchbare Ergebnisse sind längst nicht so einfach, wie in der Werbung ... ach, nee ;) So einfach es ist, dieses Instrument technisch zu beherrschen und so hilfreich das mitlaufende Metronom ist, so schnell wird auch klar, dass Timing und kompositorische Fähigkeiten nicht per Bluetooth in den Spieler schleichen. Also nicht täuschen lassen, so schnell ist der perfekte Beat fürs Solo-Jammen nicht gebaut.
Kontra 3: Freilich rein subjektiv: Wenn man für den Orba keinen konkreten Einsatzzweck hat, also etwa als Hintergrund-Rythm-Section beim Gitarrespielen, lässt die Freude am stundenlangen Herumspielen doch einigermaßen schnell nach. Die Möglichkeiten sind relativ schnell ausgelotet. Danach muss man schon ernsthaft musizieren/komponieren wollen.
Kontra 4: Abstürze! Ja, ernsthaft, Abstürze. Die kommen tatsächlich so häufig vor, dass wohl jeder PC längst an die Wand geflogen wäre. Es scheint an irgendwelchen Überlappungen zu liegen, jedenfalls kommt es vor allem beim Overdubbing vor. Die Menge der gespielten Noten scheint hingegen keinen Einfluss zu haben. Die aktuelle Aufnahme ist dann futsch! Es gibt auch keine Möglichkeit, Songs intern zu speichern. Allein dieses Manko dürfte für ernsthafte Musikproduktion ein klares No-Go sein.
Kontra 5: Die intuitive Bedienung, auch durch den überschaubaren Funktionsumfang, ist der Knaller - gebt das Teil irgendwem in die Hand und Ihr könnt eine halbe Stunde Selbstgespräche führen. Aber nach einer Zeit wünschte man sich, eine Art Fortgeschrittenenmodus einschalten zu können, der mehr Einstellungen, mehr Sounds, präzise Patches, separate Track-Einstellungen und vieles mehr bietet.
Orba kaufen? Oder Alternative?
Objektiv lässt sich das schwer beantworten, ich persönlich kann den Kauf klar empfehlen: Wenn es nur darum geht, alle Möglichkeiten auszuloten und dann ein wenig auf der Couch zu spielen (im Sinne von Spiel, nicht von Instrument), wird das Teil sicherlich nach ein paar Wochen nicht mehr auf dem Couchtisch liegen, sondern in der Schublade. Aber es wird immer wieder mal in der Hand landen, vermutlich über Jahre. Selbst so dürften genügend Stunden zusammenkommen, um die 100 Euro zu rechtfertigen. Selbst wenn es nur 20 Stunden wären, wäre es billiger als jedes Kino.
Wer sich ernsthaft mit Musik beschäftigt und mit dem Orba zum Beispiel unterwegs Ideen festhalten oder neue Beats ausprobieren möchte, ist sowieso gut bedient - vorausgesetzt, die Limitierungen werden akzeptiert. Wer mit dem Orba wirklich mobil produzieren will, sollte sich hingegen überlegen, ob Abstürze nicht doch die rote Linie sind. Und wer auch immer mit virtuellen Instrumenten in einem DAW arbeitet (ich zum Beispiel mit Cakewalk), sollte sich den Orba sofort kaufen! Als MIDI-Controller macht zumindest mir der Orba viel mehr Freude als als mobiler Synthesizer.
Alternative: Natürlich gibt es kein anderes Produkt, das direkt mit dem Orba vergleichbar ist. Aber es gibt andere mobile Handheld-Instrumente - zum Beispiel die Pocket Operators von Teenage Engineering. Auch das sind Step-Sequencer und Synthesizer. Allerdings sind einige Modelle Sampler oder Sampler und Synthesizer, es gibt 16 Steps, diverse Effekte, Möglichkeiten zum Synchronisieren mehrerer Pocket Operators oder sonstiger Geräte, die Möglichkeit, eigene Samples aufzuspielen/aufzunehmen und einiges mehr. Die Bedienung ist weniger intuitiv, dafür sind die Anleitungen so ziemlich das Beste, was es an Anleitungen gibt - kürzer und verständlicher geht es nicht.
Allein durch das Hintereinanderschalten mehrerer POs ergeben sich unendliche Möglichkeiten. Zudem ist die Laufzeit deutlich länger und dank Betrieb mit zwei AAA-Batterien ziemlich einfach verlängerbar. Einstellungen und Songs lassen sich sogar exportieren - auf ein simples Audiogerät! Es gibt viel zu den POs zu erzählen, daher schaut besser in unseren Artikel dazu. Sicher ist: Die POs sind weniger intuitiv, bieten aber wesentlich mehr Möglichkeiten.
Dürfte ich nur eines von beiden haben: Definitiv Pocket Operator. Auch wenn ich den MIDI-Controller vermissen würde :(