Meinung

Bildschirme. Bildschirme! BILDSCHIRME!!!

In den letzten 15 Jahren oder so ist die Zahl der Bildschirme an und um uns herum extrem gewachsen. Das macht doof – oder?

Wisst Ihr noch, wie das früher war? Menschen standen staunend vor Schaufenstern, in denen ein 10-Zoll-Fernseher aufgebaut war, um Fußball in verrauschter Schwarzweiß-Qualität zu schauen und… OK, so alt ist wahrscheinlich keiner mehr von uns. Gut erinnern kann ich mich aber, wie Ihr wohl auch, liebe Leser, an die Zeiten, als wir im Haushalt einen Bildschirm hatten: Den Fernseher.

Es war für mich als Kind ein Fest, wenn meine Eltern grünes Licht für die Benutzung des guten, alte Röhrenkastens gaben: Beim anmachen knallte er elektrisch, knisterte, wenn man die Haare dranhielt und roch nach längerer Laufzeit nach heißer Elektronik und erwärmtem Staub. Marzipankartoffelnmümmelnd saß ich in der Adventszeit bei Kerzenlicht davor, schaute Trick- oder Märchenfilme und war selig. Die restlichen 23 bis 24 Stunden des Tages war ich einfach Kind.

Überall sind Bildschirme

Heute ist das anders. Der warme, knisternde Kasten ist längst Hightech-Flachbildschirmen gewichen und seither hat eine Bildschirm-Inflation stattgefunden. Der Haushalt ist voll davon: Fernseher, Computer, Tablet, natürlich das Smartphone, und zwar alle gleich in mehrfacher Ausführung. Smart-Devices aller Art, selbst manche Haushaltsgeräte haben heute, Ihr ahnt es schon, Bildschirme mit Touch-Bedienung. Und es nimmt kein Ende: Wohin man schaut, blinkt es: Bildschirme, mit Infos, Werbung, Interfaces. Am Fahrkartenautomat genauso wie auf der Werbetafel oder in Informationssystemen. Es ist zum Verrücktwerden.

Wann wurde alles mit Monitoren vollgepatscht?

Ich weiß nicht, wann das angefangen hat. Es muss irgendwann mit dem Siegeszug des Smartphones und entsprechender Displays begonnen haben, denn die Tech-Demo der Surface-Table von Microsoft vor rund 15 Jahren konnte mir noch ein ernsthaftes Staunen entlocken. Damals gab es zwar schon Smartphones und sogar das iPhone – ich hatte aber nur noch keins und tippte auf einem ollen Ericsson T10 herum. Übrigens ein längst vergessenes Dumbphone, das dem legendären Nokia 3310 in Sachen Robustheit in nichts nachstand.

Nichts kann mich mehr schocken

Heute ist das anders. Vermutlich könnte Big Tech mir schon morgen ein tragbares Device in Flaschenform präsentieren, das auf Knopfdruck ein ebenso hochauflösendes wie lebensechtes 3D-Hologramm präsentieren, das mit der echten Welt interagiert und mir Wünsche erfüllt, kurzum: Einen echten Dschinn wie im Märchen – oder lieber eine Bezaubernde Jeannie, und ich würde ob dieser ganz offensichtlich schwarzen Magie nicht einmal müde lächeln.

Stattdessen würde ich mich fragen, welche Hinterhältigkeiten Werbefritzen, Vermarkter und Service-Terminal-Designer mit Hilfe dieser Technik wieder aushecken würden, von App-Entwicklern ganz zu schweigen. Denn am Ende spiele ich mit Dschinn Jeannie Schach und werfe für jeden Zug 10 Big-Tech-Dollar nach, weil mir trotz des Jeannie-Devices und den Trillionen anderen Bildschirmen in der Bude so langweilig ist.

Das Äffchen in uns

Und genau das ist das Problem: Man wird heutzutage permanent mit Bildschirmen berieselt. Menschen sind Affen sind Tiere, die auf optische Reize ganz besonders stark reagieren. Insofern ist ein nebenher laufender Bildschirm auch etwas völlig anderes als zum Beispiel das gute, alte Kofferradio, das ölverkrustet unter einem 30 Jahre alten Brüste-Kalender in der KFZ-Werkstatt steht. Auch hier reizt der Kalender, nicht das Schlagersender-Gedudel.

Wenn das Äffchen in mir etwas anderes macht, stören Geräusche nur marginal, können als Musik sogar unterstütztend für die Konzentration sein. Geräusche stören vor allem, wenn sie ungleichmäßig, unerwartet oder schlicht Krach sind. Mit optischem Lärm ist das anders: Die kriege ich nur weg, wenn ich die Augen schließe oder weggucke – und das mache ich nur, wenn ich schlafen will. Was wegen der vielen Bildschirme ja auch nicht mehr so gut geht. Aller Blaulichtfilter in Smartphones zum Trotz.

Und schon komme ich wieder vom Thema ab, auch so ein Resultat dieser Reizüberflutung. Es geht nicht um Blaulichtfilter oder neue magische Gadgets, sondern darum, dass die Umwelt inzwischen derart mit Bildschirmen zugelötet ist, dass man keinerlei Entspannung mehr hat – und auch ohne Bildschirm nichts mehr mit sich anzufangen weiß.

Könnt Ihr noch ohne Bildschirm? Ich nicht.

Ehrlich: Was macht Ihr, wenn man Euch mit Einemmal alles mit Bildschirm wegnimmt? Kein Smartphone, kein Computer, kein Kindle, keine Smartwatch, nicht einmal ein Kühlschrank-Display mit Newsticker, ja ihr dürft nicht einmal an den Ticketautomaten im Bus? Eben. Ihr würdet wahrscheinlich nicht einmal mehr den Weg zum Klo ohne Navi finden und falls doch, bekämt Ihr das Licht nicht an, weil es Smart ist und von einem, na klar, Bildschirm gesteuert wird.

Und das ist nur die Spitze des Eisbergs der Verblödung. Ich ertappe mich zum Beispiel immer öfter dabei, dass ich bekannte Strecken in bekannten Gegenden mit Navi fahre. Weil ja irgendwo ein Stau sein könnte und das iPhone sowieso am CarPlay hängt, wegen der Musik. Und so schleicht sich das ein: Ich kann schon jetzt manche Strecken nicht mehr „ohne“ fahren, die früher kein Problem waren.

Und das ist schade. Denn damals, als Kind, wenn ich meine Stunde vor dem knisternden, flackernden Kasten abgesessen und Fantasie getankt hatte, habe ich meine Welt erkundet und nicht wie heute direkt den nächsten Bildschirm mit Twitter oder irgendeinen anderen Social-Media-Unsinn angemacht. Schade, dass diese Zeiten wohl nie wiederkommen – und meine Tochter sie in dieser Form wohl auch nie erleben wird, sondern in einer Welt von berieselnden Bildschirmen aufwächst. Und ehe ich mich darüber jetzt wieder aufrege, schließe ich diesen Beitrag lieber mit dem weisen Peter Lustig: Ihr könnt jetzt Abschalten!

Christian Rentrop

Diplom-Journalist, Baujahr 1979. Erste Gehversuche 1986 am Schneider CPC. 1997 ging es online. Seither als Schreiberling in Totholzwäldern und auf digitalen Highways unterwegs. Öfter auch auf der Vespa oder mit dem Wohnwagen unterwegs. Seit 2020 Tochtervater, dementsprechend immer sehr froh über eine kleine Kaffeespende.

Ein Kommentar

  1. Lieber Christian

    Danke für den tollen Beitrag!

    Ich glaube, die Verwendung der digitalen Medien lässt sich in einem Haushalt mit Kleinkindern bewusst gestalten: Bei uns existiert der Fernseher praktisch nicht und wenn er überhaupt einmal läuft, schläft meiner Tochter (4.5 Jahre). Die Smartphones nutzen meine Frau und ich möglichst bewusst und versuchen den „Konsum“ einzuschränken. Eine Fahrkarte für den ÖV kaufen wir auch mal bewusst am Fahrkartenautomat statt in der App und bezahlen mit Münzen.

    Wobei der Touchscreen am besagten Fahrkartenautomat unsere Tochter bereits magisch anzieht und sie die Fahrkarte nach Beschreibung der Schritte (Drücke oben rechts auf den grossen gelben Knopf „Zielort eingeben“, gib Z-U-R-I-C-H ein, …) bereits fast eigenständig kaufen kann ;-)

    Und das von Dir angesprochene Navi zieht unsere Tochter auch stark an. Sie beschwert sich in letzter Zeit häufig, wenn es auf einer bekannten Strecke nicht läuft… Ja und das Tablet läuft bei uns am Samstag oder am Sonntag mit einer Folge von der Sendung mit der Maus und vielleicht noch einem kleinen Game in der Maus App.

    Ich denke, wir können den Zustand von damals, vor der Inflation der Bildschirme unseren Kindern ein Stück weit durch den bewussten Umgang mit den Medien zeigen.

    Ihr wisst schon, abschalten ;-)

    Beste Grüsse
    Stephan

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