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Smartwatches: Die Rückkehr der Taschenrechneruhr

Als ich in den 80ern ein Kind war, gab es ein Device, mit dem man auf jedem Schulhof der Star war: In Zeiten piepsender LED-Spiele war die Casio Taschenrechneruhr ein Gerät wie aus der Zukunft. Was man damit alles machen konnte: Addieren, Mulitplizieren, ja sogar Brüche ausrechnen. Das Teil zeigte, wow, auch die Uhrzeit an und war gern gesehenes Utensil eines jeden Klassenraum-Guerillas, weil es piepsen konnte, wann immer man wollte. Das war toll, damals, als das Alter noch einstellig war.

Sag zum Abschied leise „Pieps“

Zum Glück verschwand dieses wunderbare Device für Nachwuchs-Nerds. Die Typen, die die Dinger in den 1990ern noch trugen, waren entweder in der Jungen Union oder versorgten die ganze Mittelstufe mit Raubkopien, aber nie beides. Zeit genug für solche Aktivitäten hatten sie, denn kein Mädchen wäre jemals mit einem ausgegangen, der eine Taschenrechneruhr trug. Und das war auch gut so, denn so konnten die Typen in Ruhe an ihrer Karriere als CDU-Apparatschiks im Rampenlicht oder als Systemadministrator im Keller eines Konzerns feilen.

Na, erinnert Ihr Euch noch? (Bild: Wikipedia/Septagram)
Na, erinnert Ihr Euch noch? (Bild: Wikipedia/Septagram)

Bis heute piepst es traurig im Keller oder der Bundestag-Hinterbank. Dann wird der guten Zeiten gedacht, als nur eine Taschenrechneruhr nötig war, um Gleichaltrige zu beeindrucken. Für alle anderen hatte es sich aber schon Anfang der 1990er ausgepiepst, weil es jetzt coolere Devices gab und irgendwann auch das Handy kam.

Fast 30 Jahre war Ruhe. Dann kamen die Hipster

Über 25 Jahre war Ruhe, die Taschenrechneruhr war tot, weil sie aus heutiger Sicht ja auch wirklich ein absolut bescheuertes Gadget ist. Schließlich sind die Funktionen längst in jedem Smartphone und das hat man eh immer dabei. Ehrlich gesagt war es auch ganz gut, dass Handy und Smartphone die lästige Armbanduhr haben verschwinden lassen. Die Armbanduhr ist – ob mit oder ohne Taschenrechner – inzwischen wenig mehr als ein teures Stück Schmuck.
Wirklich weg war sie aber nie, die Taschenrechneruhr: Casio hat sie noch immer im Sortiment, und so war es nur eine Frage der Zeit, bis sie wieder auftauchen würde.

Erst an Handgelenken von Vintage-Fanatikern, dann im großen Stil bei großstädtischen Szene-Hipstern. Wahlweise ironisch-retro-neu oder sogar echt Vintage aus den 80ern, in jedem Fall aber potthässlich und saudämlich. Und weil neospießige, Herrendutt-tragenden Hipster des Bionade-Biedermeier für altspießige Produktmanager in Anzügen das Maß aller coolen Dinge sind, dachten sich die Herren und Damen bei Apple, Samsung und Co., dass es an der Zeit sei, die Taschenrechneruhr wiederzubeleben, natürlich angepasst ans Smartphone-Zeitalter. Sie erfanden die Smartwatch.

"Das Ding passt in eine Armbanduhr? Geil!" (Der Autor, ca. 1988) (Bild: Pixabay/betexion)
„Das Ding passt in eine Armbanduhr? Geil!“ (Der Autor, ca. 1988) (Bild: Pixabay/betexion)

Apple-Watch und Co. sind albern!

Statt eines altbacken-goldschimmernden LCD-Dingsbums mit dem Charme einer falschen Rolex sollen sich junge, erfolgreiche Menschen nun also altbacken-goldschimmernde LED-Dingsbumse mit knatschbunten Riesenmonitoren an den Arm binden. Die provozieren auf der Stelle den Habitus stolzer Besitzer von Yps-Heft-Spionage-Utensilien: Smartwatches messen permanent Puls, Blutdruck und andere Körperdaten, zeigen Mails und Tweets an und spielen Musik. Obendrein erlauben sie inzwischen Telefonate mit dem Handgelenk, was ziemlich bescheuert aussieht. Das war schon bei Batman und Knight Rider im Fernsehen albern und ist es bei Hipstern sowieso. Zumal niemand im echten Leben Batman oder der Knight-Rider ist, sondern eher lebenslangweiliges Bildschirmpersonal mit chronischen Gewichtsproblemen.

Wie bei solchen Produkten üblich, werden Smartwatches seither, glaubt man der Werbung, hauptsächlich von erfolgreichen, schönen Menschen getragen, die zwischen Vorstandsetage, Joggingrunde und Surfausflug mit dem VW-Bus keine Zeit mehr finden, das Smartphone aus der Tasche zu ziehen. Komischerweise schaffen derart beschäftigte Menschen es aber, eine Smartwatch nicht nur einzurichten, sondern auch, sie alle paar Stunden ans Ladegerät zu klemmen. Sonst sich gegen jedes noch so minimale Risiko aufbäumende Gesundheitsfanatiker stört es plötzlich nicht mehr, dass Watch und Phone eine permanente Funkbrücke durch ihren Körper aufbauen.

Wofür soll das eigentlich sein?

Inzwischen sind die Smartwatches wenigstens ausgereift: Man muss sie nur noch alles zwei bis drei Tage ans Ladegerät hängen und sie haben eine Reihe von Gesundheitsfunktionen eingebaut. Was ja grundsätzlich praktisch wäre, wenn man in dieser Hinsicht Probleme hätte und die Dinger von den Krankenkassen bezahlt würden. Werden sie aber nicht, weshalb man nie wirklich Kranke, sondern immer nur Jogger am Rheinufer mit einer Apple-Watch sieht. Sie rennen erst im Kreis, bis sie schwitzen und Puls haben und gucken dann auf ihre Uhr, um herauszufinden, ob sie schwitzen und Puls haben.

Apple-Watch: Nicht ganz so günstiger Spaß. (Screenshot von Apple.com)
Apple-Watch: Nicht ganz so günstiger Spaß. (Screenshot von Apple.com)

Der Wow-Effekt ist schnell verpufft

Sonst wissen sie nämlich auch nicht viel mit ihren Uhren anzufangen. Der Wow-Effekt für Angeber, denen das Premium-Smartphone nicht teuer genug ist, verpufft minutenschnell, was bleibt, ist ein dickes Minus auf dem Konto und ein weiteres Device, das irgendwann sinnlos in der Schublade herumliegen wird. Wenigstens in dieser Hinsicht unterscheiden sich Apple Watch und Co. nicht von ihren Vorfahren: Hatte man da einmal alle coolen Taschenrechner-Worte durch, war es auch hier mit dem „Wow!“ vorbei. Neben dem deutlich höheren Preis haben Smartwatches jedoch gegenüber ihren Casio-Vorgängern einen riesigen Nachteil: Wenn die Kinder das Ding in 25 Jahren aus der Schublade kramen, können sie es ganz bestimmt nicht als hippes Retro-Utensil verwenden: Die Teile werden dann einfach völlig obsoleter Elektroschrott sein.

Christian Rentrop

Diplom-Journalist, Baujahr 1979. Erste Gehversuche 1986 am Schneider CPC. 1997 ging es online. Seither als Schreiberling in Totholzwäldern und auf digitalen Highways unterwegs. Öfter auch auf der Vespa oder mit dem Wohnwagen unterwegs. Seit 2020 Tochtervater, dementsprechend immer sehr froh über eine kleine Kaffeespende.

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