HardwareMeinungSoftware

Meinung: Wir brauchen eine Jailbreak-Pflicht!

Es regt mich auf. Wirklich jetzt! Die EU regelt so ziemlich alles, was mit dem alltäglichen Leben und der Umwelt zu tun hat, Stichwort Stickoxid und Führerscheine. Aber beim Smartphone tut sich in dieser Hinsicht nichts: Hier liegen, wie wohl in jedem Haushalt, diverse funktionierende, aber völlig veraltete Smartphones und Tablets herum. Die sind nur noch teurer Elektroschrott. Zu nutzlos zum Behalten, zu gut zum Wegschmeißen oder billig Verkaufen. Liebe EU-Politiker: Es wird Zeit, dass wir die Dinger wie alte PCs oder Macs frei und nachhaltig mit Linux oder anderen freien Systemen nutzen können!

30 Jahre alte PCs kann man noch verwenden…

Der ein oder andere wird es kennen: Man bekommt von Bekannten einen leidlich aktuellen PC oder Mac geschenkt, auf dem weder Windows 10, noch ein aktuelles MacOS läuft. Solange das Gerät technisch funktioniert und nicht völlig veraltet ist, könnt Ihr es aber jederzeit mit Linux oder etwas Vergleichbares wie KolibriOS oder FreeDOS aufsetzen und für was-auch-immer verwenden. Das geht sogar mit 30 Jahre alten 386er-Rechnern: Wenn sich irgendein Entwickler dazu herabließe, irgendein Betriebssystem für derart überholte Hardware zu entwickeln, könnte er das – und es würde laufen. Nicht so bei Smartphones und Tablets, denn die sind immer verplombt – und damit alles andere als nachhaltig.

Das iPhone: Vom Edel-Smartphone zu Elektroschrott in einer halben Dekade. Das muss aufhören. (Bild: JESHOOTS-com/Pixabay)
Das iPhone: Vom Edel-Smartphone zu Elektroschrott in einer halben Dekade. Das muss aufhören. (Bild: JESHOOTS-com/Pixabay)

… 6 Jahre alte Smartphones nicht mehr!

Nehmen wir mein altes iPhone 5: Es hat seit Anfang 2013 jahrelang gute Dienste geleistet, hat natürlich diverse Kratzer und der Akku will auch nicht mehr so recht. Das letzte iOS-12-Update hat es nicht mehr bekommen und Sicherheitsupdates gibt es auch nicht mehr. Dafür hat es 32 Gigabyte Speicher, ein Gigabyte RAM und einen leistungsstarken 32-Bit-ARM-Prozessor – im Grunde ist es also so etwas wie ein Raspberry Pi 3 mit eingebautem Touch-Bildschirm. Einzig: Die Gebrauchtpreise für das iPhone 5 in diesem Zustand liegen tatsächlich unterhalb von denen eines neuen Raspberry. Und es ist, weil Apple es nicht freigibt, für deutlich weniger zu gebrauchen. Auch, weil die Apps im AppStore nach und nach kein iOS 11 mehr unterstützen werden.

Für was ein altes Smartphone alles gut wäre!

Dabei wäre es für die gleichen Anwendungen doch grundsätzlich genauso gut, wenn nicht sogar besser geeignet, als ein Raspi. Mit Raspbian oder einem angepassten Android könnte das veraltete iPhone sicher noch ein wunderbares zweites Leben als Allround-Gadget, Streaming-Server oder sonstiges IoT-Gerät führen. Möglicherweise noch für Jahre, denn im klassischen Sinne defekt ist es ja nicht. Das gleiche trifft übrigens auf ein Windows-Phone-Gerät zu, das hier in der Schublade verschimmelt und deshalb ein Fall für den Recyclinghof ist. Genau wie das leider viel zu früh gealterte Android/Windows-10-Tablet von Chuwi, das partout keine neuen Windows-10-Updates mehr schlucken will: Alle verplombt, offiziell für nichts mehr als die letzte OS-Version zu gebrauchen und binnen kürzester Zeit unsicher und unbenutzbar.

Eine Öffnung könnte auch sehr alten Tablets und Smartphones neues Leben einhauchen. (Bild: kaboompics/Pixabay)
Eine Öffnung könnte auch sehr alten Tablets neues Leben einhauchen. (Bild: kaboompics/Pixabay)

Verschwendetes Potential ohne Jailbreak

Ganz besonders ärgerlich ist das bei Tablets, weil diese ja in aller Regel auch gute Bildschirme sind und sich mit einem simplen Adapter für Maus und Tastatur in günstige, leistungsstarke Mini-PCs verwandeln ließen. Dabei wäre es doch, technisch gesehen, ein Leichtes, die Geräte für Drittanbieter-Software freizugeben: Der ganze Pseudo-Elektroschrott, der ein ewiges Dasein mit einem letzten Uralt-Update fristen muss und damit tagtäglich weniger nützlich wird, könnte, statt in Schubladen zu vergammeln oder auf Müllhalden zu landen, irgendwo noch sinnvoll eingesetzt werden.

Technisch kein Problem

Entwickler, die ihr Herz der Erhaltung alter 32-Bit-iPhones oder oller Androiden widmet, würde sich schon finden. Einzig: Er kann es nicht. Und das ärgert mich zutiefst. Denn all die auf Obsoleszenz gebauten Geräte könnten mit anderer Software und Schnittstellen-Adaptern sogar noch richtig sinnvoll sein, etwa als Mini-Rechner für die Ärmsten der Armen, gespendet, um Kindern in den Slums der Welt entweder ein Telefon, Tablet oder eben sogar einen kleinen Rechner zu ermöglichen. Denn die Rechenleistubng

Falscher Idealismus? Mitnichten!

Ich bin sonst kein Idealist. Aber wenn ich wüsste, dass ich mein altes Smartphone oder Tablet spenden könnte und irgendwo in Afrika ein Schulkind mit einem billigen Adapter aktuelle Software nutzen könnte – und dafür reicht die Leistung der meisten hierzulande obsoleten Geräte völlig – ich wäre selig und würde spenden. Und es gäbe sicher auch viele andere, die das machen würden.

Ein Root- oder Jailbreak-Gesetz muss her!

Da die Hersteller aber entsprechende Patches nicht freiwillig zur Verfügung stellen, müsste man sie eigentlich zwingen: Deshalb ist eine Jailbreak-Pflicht naheliegend. Sobald ein Gerät obsolet ist, also vom Hersteller nicht mehr unterstützt wird, müsste der Hersteller per Gesetz dazu gezwungen werden, einen Jailbreak nachzureichen. Die EU wäre dafür die passende Instanz, nervt sie doch sonst mit deutlich sinnfreierer Gesetzgebung.
Natürlich wären auch empfindlichen Strafen bei Nichtbeachtung notwendig, inklusive der Abstrafung von „Fake-Updates“, die Geräte zwar auf dem Papier weiter unterstützen, aber in der Praxis unbenutzbar machen.

Mehr Nutzen – weniger Elektroschrott!

Freigeschaltet könnten Smartphones und Tablets (wie übrigens auch Smart-TVs und andere „Gadgets“, die eigentlich vollwertige Computer sind) einem neuen Verwendungszweck zugeführt werden. Das könnte die Lebensdauer zahlreicher Geräte deutlich erhöhen, möglicherweise Gutes tun – und den Elektroschrott-Berg massiv reduzieren.

Christian Rentrop

Diplom-Journalist, Baujahr 1979. Erste Gehversuche 1986 am Schneider CPC. 1997 ging es online. Seither als Schreiberling in Totholzwäldern und auf digitalen Highways unterwegs. Öfter auch auf der Vespa oder mit dem Wohnwagen unterwegs. Seit 2020 Tochtervater, dementsprechend immer sehr froh über eine kleine Kaffeespende.

10 Kommentare

  1. Ich finde es auch schlimm, das es nach 2-Jahren für Android Geräte keinen Support mehr gibt. Microsoft versorgte in der Vergangenheit immer hin jedes OS 10 Jahre mit Updates. Ich finde es ziemlich übel, das für Android Updates die Hardwarehersteller zuständig sind und nicht Google. Nach 2 Jahren schon keine Updates mehr. Das kann doch nicht sein. Neue Apps laufen nach 3Jahren nicht mehr auf eigentlich mich voll funktionsfähiger Hardware. Das fühlt sich wie Enteignung an.

  2. Auch wenn der Artikel ziemlich hart klingt – die Plombe ist es nicht. Auch wenn man damit etwas verplombt bleibt sie weich (geschrieben)…

  3. Nicht, dass ich die Idee nicht voll und ganz unterstützen würde, aber – wie schon breit diskutiert -, diese unterstellte Unbrauchbarkeit mag für Deinen Apple-Ramsch gelten, nicht aber für Android-Geräte.

    Wenn das Ding einmal läuft und wie Du vorschlägst als Mediaserver im LAN oder von mir aus auch als MP3-Player eingerichtet ist, läuft es doch immer weiter, oder etwa nicht? Nein, es gibt dann keine Updates mehr und zum Online-Gehen ist es damit nur noch sehr bedingt geeignet – wobei man da durchaus mit Sicherheitsmaßnahmen abseits von Systemupdates arbeiten kann. Aber seinen Dienst könnte es noch über ein Jahrzehnt tun. Siehe Windows XP: Der Mist läuft auch noch produktiv auf Tausenden von Rechnern – in abgeschotteten Netzen, aber leider auch noch einige wenige mit Internet-Verbindung.

    Und auch wenn ich noch nie ein Iphone oder -pad hatte, könnte ich drauf wetten, dass das damit genauso möglich ist. Im Zweifelsfall stellt man einfach die Online-Verbindung ab und konserviert den laufenden Zustand. Das wird doch hoffentlich sogar Apple erlauben, oder? Warum können sechs Jahre alte Iphones und -pads nicht nicht mehr als Fernbedienung genutzt werden? Oder als Fotorahmen? Oder als MP3-Player? Irgendwas entgeht mir da scheinbar …

    Mal ganz nebenbei: Sich Apple ausliefern und dann nach Freiheiten schreien? Die Kehrseite des Sektenkomforts musst Du schon auch aktzeptieren ;)

    Du schreibst selbst, dass 30-Jahre alte 386er noch genutzt werden können – und warum? Weil sie nie „verplombt“ waren, weil es sich um Standard-Hardware handelte. Und ich versuche seit Jahren Dir klar zumachen, dass Apple Mist ist, weil sie sich eben jedem Standard-Gedanken verwehren. Und jetzt plötzlich fällt Dir ein, dass da was dran ist? Jetzt, wo Du persönlich erlebst, was das bedeutet? Auch in der Android-Welt fehlt diese Standard-Hardware und auch ich lechze nach einem normalen Standard-Linux, das ich aufspielen kann – aber es ist halt längst nicht so arg wei bei Deinen so heiß geliebten Äpfeln. Oh fucking Wunder, ich kann mir sogar alte App-Versionen besorgen und sie installieren. Du hast Dich doch sehenden Auges in die App-Store-Abhängigkeit begeben, oder etwa nicht?

    Nochmal: Ich würde eine solche Regelung unterstützen. Aber noch lieber wäre es mir, Konsumenten würden die Industrie an dieser Stelle einfach mehr unter Druck setzen. Wer keine Fesseln will, soll kein Apple kaufen – dann wird Apple mit den Fesseln schon von alleine aufhören.

    Übrigens: Auf einem 2014er MotoG oder einem 2012er Nexus 4 kann man Ubuntu Touch installieren. Und auch auf Deinem Chuwi Hi10 lässt sich ein Linux installieren – also vielleicht noch nicht frustriert in die Tonne kloppen …

    1. Also unter „verplompt“ verstehe ich auch Androiden und Win-Geräte, die keine Updates mehr bekommen. Das ist nur sekundär ein Apple-Problem. Rooten ist nichts für Einsteiger und selbst dann kann man meines Wissens nicht die neueste Android-Version aufspielen. Wie sieht es mit Browsern und ähnlichem aus? Und offizielle Store-Apps werden wohl dann doch eines Tages nicht mehr auf alten Android-Systemen laufen, sei es wegen der vermeintlich langsamen Hardware oder wegen des veralteten Betriebssystems.

      Grundsätzlich ist das alles aber nicht der Punkt: Otto-Normal wird weder rooten, noch jailbreaken, noch APKs installieren oder Linuxe per Hack aufspielen. Das für Standard-Sachen noch völlig ausreichende Gerät verschwindet in der Schublade oder im Müll.

      Deshalb wäre es sinnvoll, wenn Hersteller zum offiziellen Entsperren verpflichtet würden, am besten mit dem „letzten“ großen OS-Update.

      Könnte man auf dem alten iPhone oder Androiden einfach Linux vom Stick installieren, wie es bei PCs oder Macs der Fall ist, hätte ich diesen Artikel ja nicht geschrieben ;)

      1. Ich habe zwar nie irgendwo was vom Rooten erzählt, aber wirf das ruhig mal ein …

        Ja, es sollte freigegeben werden. Nein, Otto Normalverbraucher wird nichts von alledem machen. Aber weißt Du was? Der wird auch seinen alten Rechner einfach nur wegwerfen ;)

        Auch von aktuellen Versionen habe ich nichts erzählt – natürlich laufen die nicht. Und natürlich gibt das Probleme, beispielsweise mit den angesprochenen Browsern. Zu alte Geräte unterstützen oft kein aktuelles TLS, was die Surferei schwierig macht.

        Aber was genau willst Du denn? Mal geht es darum „Standard-Sachen“ zu machen, mal darum, ein altes Gerät als IoT-, Server- oder sonst ein Special-Purpose-Gerät zu nutzen. Ersteres geht nicht – dafür bräuchte man ein aktuelles OS und dafür wiederum Deine geforderte Freischaltung. Letzteres geht aber eben sehr wohl – selbstverständlich mit Abstrichen, aber es gibt absolut keinen Grund, ein 6 Jahre altes Android-Gerät wegzuwerfen.

        Ein Beispiel: Just gestern hat mein MP3-Player den Geist aufgegeben. Also habe ich mein sogar 7 Jahre altes Galaxy S Advance aus der Schublade geholt, einen aktuellen Musik-Player installiert und nutze das Ding jetzt als (luxuriösen) MP3-Player beim Sport. Und darauf läuft ein Android 2.x.

        Es läuft auch die Fritz-TV-App darauf – als Mini-Fernseher für Küche oder Klo taugt es also auch noch. Ich konnte einen alten Firefox installieren – tutonaut.de läuft!

        Ich könnte es auch mit einer 128-Gigabyte-SD-Karte ausstatten und als Backup-Server in den Flur stellen – wenn die Hütte brennt, könnte ich das Ding beim Flüchten fix einstecken.

        Ich könnte es auch mit Spielen ausstatten und als Handheld-Konsole nutzen – es gibt reichlich einfache Open-Source-Spiele, die keinerlei Online-Verbindungen benötigen.

        Und und und …

        Ja, es dürfte einiges weggeworfen werden, weil so ein Ding nicht einfach weiterläuft. Ob die Masse der Nutzer etwas Sinnvolles damit tun würde, wenn sie freigegeben würden? Wer weiß, ich glaube es nicht. Jedenfalls dürften auch Beiträge, die behaupten, dass man die Dinger quasi wegwerfen muss, ihren Teil dazu beitragen ;)

        Insofern: Unterstützt Christians Petition, aber werft um Gotteswillen nicht alle alten Android-Geräte ins Klo. Man kann sie noch sinnvoll verwenden – ohne Rooterei, ohne Aufspielen von anderen Betriebssystemen, ohne Hackerei. Massenhaft Software, die auch noch unter alten Android-Systemem läuft und als APK verfügbar ist, findet Ihr bei F-Droid.org.!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Schließen

Ooopsi!

Bitte deaktiviere Deinen Adblocker.