In HIMYM hat Barneys These unter anderem zu der unangenehmen Schlussfolgerung geführt, neue Star-Wars-Filme seien besser als alte - was wohl auch durch den frischen Whisky nicht besser wurde ;) Aber bei Technik? Auf dem Windows-Desktop? Da ist doch neu immer besser, oder? Ich sach mal nöö, was machen sonst die ganzen grotesk alten Tools auf meinem Rechner?
Friedhof
Es gibt reichlich Beispiele für Tools, eigentlich ganze Tool-Sparten, die ausgestorben sind. WYSIWYG-Editoren wie Dreamweaver sind heute kaum noch der Rede wert, niemand klickt sich mehr Datenbankverbindungen zu Recht - ein Opfer von Frameworks und Klick-Baukästen.
Oder wie wäre es mit Media-Konvertern? Die waren früher mal ein großes Ding! Menschen haben ständig Video- und Audio-Dateien von einem Format ins nächste konvertiert. Heute spielen die meisten Hard- wie Software-Player einfach alle gängigen Formate ab und Speicherplatz muss auch kaum noch jemand sparen und überhaupt, es wird eh mehr gestreamt - wer kennt da schon das Format?
Oder Anti-Virus-Software: Echte Viren sind eh schon seit Ewigkeiten kein Thema mehr, aber auch die sonstige Malware-Vorsorge sorgt nicht mehr für Schlangen vor der Saturn-Kasse - Windows macht das schon und unter Android juckt es eh niemanden.
Ganz heiß: Tuning-Suiten haben früher gewaltige Umsätze garantiert - Windows war einfach kack langsam. Und dann kamen SSDs und schon war jede weitere Tuning-Maßnahme raus aus dem messbaren Bereich.
Noch heißer: Brennsoftware! Nero Burning ROM - großartiger Name, ziemlich gutes Produkt. Laut Hersteller 34,5 Millionen Installationen. Klar gibt es das noch, für schlappe 40 Euro im Angebot, aber wer zum Geier soll das noch kaufen? Silberne Drehscheiben, die mit Lasern beschossen werden, haben einfach ausgedient. Mini-Speicher zum Riesen-Preis mit begrenzter Haltbarkeit, irrem Energieverbrauch und eingebauten Datenfehlern.
Egal, ich mache irgendwann mal einen Friedhofsartikel für die Gefallenen. Jetzt aber erstmal Ehre, wem Ehre gebührt - den Überlebenden von SaaS, KI und sonstiger Modernität.
Honorable Mention: LibreOffice - 1985
LibreOffice ist eigentlich erst 12 Jahre jung, stammt allerdings von OpenOffice.org von 2002 ab, das wiederum auf dem 1985er Star Office basierte. Seit 39 Jahren ist diese Software die populäreste Microsoft-Office-Alternative.
Und es wird sich sicherlich noch lange halten. Nun, so lange, wie Nutzer und Nutzerinnen existieren, die gerne ein Offline-Office haben und nicht horrende Summen an Microsoft spenden mögen. Aber auch abseits des Monetären und Cloud-Angeboten: Mir persönlich ist LibreOffice so oder so lieber. Weil es Open Source ist. Weil es eine langweilige, erwartungskonforme Oberfläche hat. Weil es sich auf echte offene Standards konzentriert. Weil es einfach ein zuverlässiger Begleiter ist, der mir nicht alle paar Jahre mit Oberflächen-Re-Design-Jump-Scares auf die Nerven geht.
Artikel dazu? Haben jede Menge ...
GIMP - 1995
Das GNU Image Manipulation Program GIMP ist für Photoshop, was LibreOffice für MS Office ist. In etwa. Fast. Irgendwie ... Es hatte aber immer einen schweren Stand: Power-User bemäkelten die mangelnde Unterstützung von 16/32 Bit Farbtiefe und Photoshop-Gewohnte die angeblich miese Bedienung. Das Farbtiefeproblem wurde 2018 behoben. Und was die Oberfläche angeht: Wer mit GIMP arbeitet und dann mal vor Photoshop sitzt, ist auch nicht glücklich :(
Beim Funktionsumfang hat Photoshop die Nase mittlerweile doch sehr weit vorn, logisch. Auch andere Bildeditoren. Überhaupt war der Vergleich mit Photoshop allenfalls vor 15 Jahren oder so mal halbwegs legitim. Aber GIMP bietet alle manuellen Werkzeuge, die man für klassische Bildbearbeitung benötigt. Es ist extrem anpassbar, es gibt etliche Erweiterungen, es ist Open Source und es reicht einfach für die meisten Aufgaben. Zum Arbeiten! Es ist eher Arbeitstier als Spielzeug.
IrfanView - 1996
Die Freeware IrfanView war früher vor allem eines: DIE Option, um möglichst viele Bildformate öffnen zu können. Im Laufe der Zeit hat IrfanView aber viele weitere spannende Features bekommen. Ich nutze es beispielsweise seit Jahren für Screenshots und Batch-Verarbeitung. Meist auch für simple Annotationen im Bild, Pfeile, Kreise etc.
Und warum es sich bis heute hält? Es ist extrem schnell und die Stapelverarbeitung ist schon verdammt gut.
Exact Audio Copy - 1998
Ich selbst habe zu seeligen CD-Zeiten, auch beruflich, mit CDEx gearbeitet - ein wunderbar simpler, technisch ausgereifter Open-Source-CD-Ripper. Aber irgendwann bin ich auf die Freeware Exact Audio Copy umgestiegen. Weil sie eine Sache kann, die CDEx nicht kann: CDs rippen und die erzeugten MP3-Dateien taggen, samt Cover-Bildern - in einem Schritt.
Brennsoftware mag nicht mehr sonderlich relevant sein und Streaming-Natives werden auch mit Rippern nichts anfangen können. Aber wer noch CD-Sammlungen hat und diese backuppen oder auf den Rechner bringen will, ist mit EAC gut bedient.
MP3Tag - 1999
Noch so eine Tätigkeit, die an Popularität verloren hat, aber vermutlich noch viele Jahre nicht aussterben wird: MP3-Dateien taggen. Und das macht MP3Tag sei 1999. Und das - oder zumindest mein - warum ist einfach: Es macht das Taggen von mehreren Dateien so einfach wie irgendwie möglich. Ein typisches Beispiel für das Unix-Konzept "... do one thing and do it well." Und darum wird es auch noch ewig vor sich hin werkeln.
7-Zip - 1999
Windows hat es bis heute nicht geschafft, eine brauchbare Pack- und Entpackfunktion mit zu bringen. Bravo. Was soll man dazu sagen? 7-Zip öffnet so ziemlich alle Formate, was irgendwie gepackt ist, kann verschlüsseln und für Skripte genutzt werden. Kauft noch jemand WinRAR oder WinZip? Schaut mal lieber, ob 7-Zip nicht alles kann, was Ihr braucht ;) Danke, Open Source, mal wieder.
Etliche Tutonaut-Artikel zitieren den kleinen Packer.
foobar2000 - 2002
Tschüss 20. Jahrhundert! Willkommen in einer extrem produktiven Zeit in der Softwareentwicklung. Viele viele Tools haben in den frühen 2000ern ihren Ursprung.
Kein Open Source, dennoch einer meiner All-Time-Favorites: foobar2000 ist ein echtes Unikum. Auf den ersten Blick ist es ein schlichter Media-Player, eine Art Winamp. Auf den zweiten Blick: Ein ziemlich mächtiges Spielzeug. Zum einen gibt es nette Features wie MP3-Reparatur und Streaming. Zum anderen kann man sich im Layout-Modus komplett eigene Oberflächen bauen - etwa einen schlanken Mini-Player oder eine Verwaltung für die Musiksammlung.
Und wie so ziemlich alle Tools in dieser Liste: Es erledigt den Job und ist dabei schlank und schnell.
foobar2000-Baukasten im Einsatz.
VLC - 2001
Tja, VLC, eine Hassliebe. Einerseits bietet der "Media Player" fantastische Features, die sonst vermutlich keine Alternative bietet. Andererseits ist die Oberfläche in vielen Belangen, sorry, unter aller Sau. Ich meide VLC, komme aber nicht ganz ohne aus.
Kodi - 2002 (XBMC)
Kodi hieß früher mal XBMC - das Xbox Media Center stammt aus dem Jahr 2002. Und wenn ich mir was wünschen dürfte: Hersteller von Fernsehern und Streaming-Anbieter sollten sich doch bitte eigene Entwicklungen für dümmliche Apps sparen und stattdessen in Kodi investieren. Kodi statt der Smart-TV-Systeme, das wäre doch mal Fortschritt.
KeePass - 2003
Tja, das Open-Source-Tool KeePass wird wohl auch ewig leben: Etabliert, sehr sicher, komfortabel, erweiterbar - wer einen Offline-Passwort-Safe nutzen will, sollte KeePass nehmen. Bei kaum einem Thema bietet sich Open Source so sehr an wie bei den eigenen Passwörtern.
KeePass-Datenbank syncen und mehr.
Media Player Classic - 2003
Nun, der Media Player Classic Home Cinema, wie die heute noch gepflegte Variante korrekt heißt, ist vielleicht kein Klassiker auf vielen Desktops - wer schaut noch Offline-Videos? Aber wenn doch: MPC-HC ist schnell und bietet eine Unmenge an Optionen zum Abspielen von Dateien (aka Gefrickel). Und hübscher als VLC ist es obendrein. Sollte eigentlich nie fehlen, kann man immer mal brauchen.
Notepad++ - 2003
Ein Texteditor. Ein sehr beliebter sogar. Nun, eigentlich ein Code-Editor und als solcher unter Windows ziemlich konkurrenzlos, allenfalls Visual Studio Code könnte man da anführen. Notepad++ ist die Eierlegende Wollmilchsau, wird ständig weiterentwickelt, Open Source, zuverlässig ... Ihr kennt die Litanei mittlerweile, gelle?!
Es ist aber auch ein verdammt guter Editor - schmeißt alles andere weg! Hier unsere Artikel.
Ditto - 2003
Microsoft hat es bis heute nicht geschafft, eine wirklich gute Zwischenablage in Windows einzubauen - eigentlich ein schlechter Witz. Copy&Paste ist quasi die Grundlage heutiger Arbeitsweise. Ditto bedient das wunderbar: Clipboard mit beliebig vielen Speicherplätzen, toll integriert, netzwergtauglich, grafische Ansicht und und und. Vielleicht das hilfreichste Windows-Tool überhaupt.
Und so funktioniert das Ganze.
Honorable Mention: Firefox - 2004
Tja, eigentlich hat sich Firefox ja schon fast verabschiedet, der Markteinteil schwindet und schwindet. Aber er wird ja auch erst im November 20 Jahre alt. Dass er noch existiert hat er wohl vor allem einer großen Organisation im Hintergrund und viel Enthusiasmus und Ideologie zu verdanken.
Die großen Zeiten der Browser-Diskussionen sind vorbei, aber Browser selbst sind nach wie vor quasi der Mittelpunkt des Online-Lebens - und da ist es doch schön, eine echte Alternative zu Google-, Microsoft- und Apple-Produkten zu haben. Und vergesst die ganzen Klischees, Firefox ist längst kein grausamer, langsamer Speicherfresser mehr. Also schon wirklich lange nicht mehr, ehrlich, das sind Mythen!
Zwar musste ich mich vor 7 Jahren von Firefox als Standard-Browser verabschieden, aber heute ist er wieder eine gute erste Wahl!
Neu ist immer besser?
Nun, die neuen Versionen all dieser Tools sind besser als die alten Versionen. Aber neue Konzepte? Nein, ich möchte meine Passwörter keinem Online-Dienst anvertrauen. Nein, ich möchte kein Office in der Cloud. Bildbearbeitung als Abo? Nö. Abos und Werbung in Programmen? Aaaargh ... Und nein, ich möchte für meine Musik nicht auf die nervigen, werbeverseuchten Pseudo-Apps von Streaming-Diensten angewiesen sein. Aber seit iTunes haben sich wohl alle daran gewöhnt, dass Shop-Frontends als Media-Player bezeichnet werden ...
All diese Old-School-Desktop-Apps lösen gängige Probleme einfach und effizient, kostenlos, offline auf dem eigenen Rechner. Ich habe auch keine Lust, mich ständig an neue Tools zu gewöhnen - das mache ich gerne beruflich für Artikel, aber nicht für Alltagsaufgaben.
Welchem Tools traut Ihr zu, auch in 10 Jahren noch zu laufen? Welchen Oldies vertraut Ihr?
Unbedingt erwähnenswert ist auch Ghislers TotalCommander. Ohne ihn kann ich seit > 20 Jahren nicht vernünftig am PC arbeiten. Das beste Tool für Dateioperationen.
Lieber Mirco, danke für die tolle Zusammenstellung. Einige Klassiker wie KeePas oder Notepad++ nutze ich immer noch sehr oft. Und deine Liste ist sicher noch erweiterbar. Beim ganze Hype um KI und immer neue Software ist es doch auch schön, wenn sich ein paar Oldies überleben und immer noch großen Nutzen für uns User bereithalten.
„MPC-HC is not under development since 2017. “ Was mich aber nicht hindert, ihn weiter zu verwenden …