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Rant: Richtig haten auf Twitter – Schulze, Upload-Filter und der Scheissewind

Der elende Sven Schulze, oder wie man heute sagt: @schulzeeuropa … Der hat sich doch glatt den Hass der Netzgemeinde auf sich gezogen. Weil er Anti-Upload-Filter-Mails von Gmail-Konten für eine Google-Kampagne hält. Mein Gott, wie kann man nur? Wie kann man nur so leichtfertig mit seinem Hass umgehen, liebe Möchtegern-Freiheits-Twitter-Krieger? Ich find’s ja erstmal auch scheisse, aber:

Gute Gesinnung …

… ersetzt kein Gehirn. Auch wenn Ihr es versucht. Native Netzmenschen, ITler, Nerds und freiheitsaffine Aktivisten sind massiv gegen Upload-Filter – aus guten Gründen: Eigentlich sollen Urheber, also Menschen wie ich, dadurch gestärkt werden. Aber selbst viele Urheber, zumindest solche mit Ahnung von IT und/oder ausgeprätem Freiheitsdenken sind dagegen. Warum? Unter anderem weil die Dinger tendenziell nicht zwischen Fake News und Satire unterscheiden können. Und da sollte man es wie im deutschen Recht üblich handhaben: Im Zweifel für den Angeklagten – Unschuldige zu inhaftieren gehört in unserer Gesellschaft erfreulicherweise zu den besonders verhassten Dingen.

Upload-Filter könnten theoretisch eine tolle Sache sein, wenn sie denn menschliches Urteilsvermögen mit absolut neutraler Gesinnung kombinieren würden. Können sie aber nicht. Und selbst wenn: Ein solches Framework zur Bekämpfung von Urheberrecht ist faktisch auch ein Zensur-Framework, auch wenn es so nicht genutzt werden soll. Aber wenn es einmal da ist …

Und dann kommt Schulz: Er bekommt Mails. Inhaltlich angeblich falsch und gegen Upload-Filter. Und sie kommen von Gmail-Konten. Aber lest selbst:

Jetzt kommen wieder sekündlich Mails zum Thema #uploadfilter & #Artikel13 rein. Mal ganz davon abgesehen, dass diese inhaltlich nicht richtig sind, stammen ALLE von #Gmail Konten.🤔 Mensch #google, ich weiß doch das ihr sauer seid, aber habt ihr diese #fake Aktion wirklich nötig?

— Sven Schulze (@schulzeeuropa) February 15, 2019

Und dann kommt der Hass: Dutzende, vermutlich Hunderte Kommentare von „Menschen“, die sich über den Bekloppten beschweren. Mit dem immer selben Tenor: „Haha ist der doof, denkt wenn Mails von Gmail-Konten kommen, kommen sie von Google.“ Und ja, das spräche in der Tat für einen schweren Fall von Geisteskrankheit. Konkret sagt zum Beispiel Daniel Schwerd: „Ich kann es kaum glauben. Denken Sie wirklich, wenn hinten „@gmail.com“ steht, dass die Mail von Google selbst kommt? Wenn Sie Briefe bekommen, glauben Sie dann auch, die Deutsche Post schreibt Ihnen persönlich?“ Drei Sekunden später weiß ich, dass Herr Schwerd fünf Jahre für Die Linke im Landtag NRW gesessen und ein Buch über „das Erbe der Piratenpartei“ geschrieben hat, das er auf seinem Twitter-Account als Sticky-Post bewirbt – aber bestimmt ist die Kritik trotzdem sachlich gemeint und hat gar nichts mit Marketing in eigener Sache oder politischer Gesinnung zu tun. Ganz bestimmt nicht.

So symphatisch mir der Tenor eigentlich sein könnte, so sehr nervt mich die gedankliche Minderleistung – wohlgemerkt der Kommentatoren!

Was läuft falsch?

Werfen wir doch mal einen Blick auf die Aussage dieses leicht paranoiden Polit-Clowns. Er sagt ja nicht nur was über die Absender-Domain, er macht mehrere Aussagen:

    Mails kommen sekündlich.
    Mails sind inhaltlich falsch.
    Alle Mails stammen von Gmail.
    Alle Mails stammen von Gmail.

Ob ich ihm diese Aussagen glaube, sei mal dahingestellt. Da aber seine Schlussfolgerung, nicht seine Prämissen angegriffen wurden, muss man sie an dieser Stelle einfach mal als gegeben hinnehmen. Wichtig sind dabei drei „Fakten“ als Tupel: Dass die Mails sekündlich kommen, dass sie von Gmail kommen und – ganz wichtig! – alle von Gmai-Konten kommen. Nochmal: Alle!

Und da liegt der Hase im Pfeffer: Die Wahrscheinlichkeit, dass tatsächlich 100 Prozent der Verfasser solcher Mails von Gmail-Konten stammen, dürfte irgendwo bei Null liegen. Das gilt für jeden Themenbereich, aber für diesen insbesondere: Gerade derlei Internet-Aktivisten und Politiker-Basher melden sich mit erhöhter Häufigkeit über ganz andere Mail-Anbieter; seien es explizite Dienste für anonyme Mails, Temporär-Mail-Anbieter (zum Beispiel guerrillamail.com), Aktivisten-Community-Domains oder gar eigene Mailserver.

Wenn also tatsächlich sekündlich Mails von ausschließlich Gmail-Konten kommen, darf man in der Tat eine Kampagne vermuten. Nun, zu glauben sie käme von Google selbst, scheint mir ziemlich verrückt – Google würde (nur mal so am Rande: das ist mit Absicht ein Konjunktiv ;) ) so etwas sicherlich ein weeeeeeenig geschickter machen können.

Aber auch wenn Schulze das Wort ALLE extra groß schreibt, liest die bekloppte Netzgemeinde wieder mal nur, was sie will …

Richtig meckern

Glaubt mir, ich habe keine Lust, den Schulze-Typen zu verteidigen. Ich kenne weder ihn noch seine Positionen oder seine Arbeit genügend, um mir da tatsächlich ein Urteil zu erlauben, das ich dermaßen extrovertiert und stammtischmäßig verkündigen wollen würde (auch wenn das für überzeugte TwitteRanten vermutlich an Selbskasteiung grenzt). Ihr wollt der Welt klar machen, dass der Schulze keine Ahnung hat? Dann führt ihn doch einfach vor!

Fragt den Schulze doch mal nach den Mails! Waren es wirklich nur Gmail-Absender? Kamen sie wirklich sekündlich? Was war denn inhaltlich falsch? Und überhaupt, wenn es eine Google-Kampagne ist, dann veröffentliche doch mal die Mails! Und wie schlecht ist denn bitte die IT in ihrem Büro, wenn sekündlich Spam-Mails durchkommen? Und erfüllt es nicht schon den Tatbestand der üblen Nachrede, wenn man einem Unternehmen öffentlich gezielte Spam-Kampagnen vorwirft?

Oder beschäftigt Euch mit dem Schulze: Behauptet der sowas häufiger? Gibt es Beziehungen zu Upload-Filter-Nutznießern? Nutzt er häufiger einfach dahingeworfene, unbelegte Prämissen, um eine als Schlussfolgerung getarnte politische Absichtserklärung zu verbreiten?

Ihr seht schon, das artet in Arbeit aus. Tja, aber vermutlich wollt Ihr, liebe Gemeinde, eigentlich nur das gleiche machen wie der Schulze: Der Welt Eure Meinung geigen, direkt aus dem Bauch heraus und ohne Umweg über das verdammte Gehirn. Na dann macht doch, ich weiß eh nicht, warum sich jemand ernsthaft mit diesem Dreidahingerotzteworteuniversum beschäftigt. Eigentlich bin ich nur drauf gekommen, weil unser Tutonaut-Account auch etwas gesenft hat …

Ach was soll’s, eigentlich will ich nur sagen: Tweets sind kurz genug, um auch wirklich die ganzen Tweets zu lesen. Und Gehirne sind leistungsfähig genug, um alle drei Prämissen einer Schlussfolgerung zu verstehen. Und wer nicht mal das schafft, unterstützt Leute und Anliegen wie Schulze und Upload-Filter auch noch! Ja, IHR Meckerleute unterstützt genau das, gegen das Ihr eigentlich seid – denn diese Art von Kritik hat ungefähr den Wert und die politische Überzeugungskraft der Geräuschkulisse einer verzogenen Fußhupe.

Zum Abschluss: Das Twittervolk hat dem Herrn Schulze letztlich Dummheit vorgeworfen, weil er eine falsche Schlussfolgerung gezogen haben soll. Wenn überhaupt, könnte man ihm eher Verlogenheit vorwerfen, weil er falsche Prämissen aufgestellt hat – was sich aber nicht so einfach prüfen lässt (bah, schon wieder dieser Anspruch an Objektivität …).

Nun, vielleicht kommen ja wirklich sekündlich Mails von ausschließlich Gmail-Konten, vielleicht arbeiten bei Google auch nur Idioten, vielleicht wollte Google, dass man weiß, von wem die Kampagne kam, vielleicht schreibe ich rund 8.000 Zeichen Text, nur weil sich viele Pfeiffen unsachlich über den unsachlichen 140-Zeichen-Zwitschertext einer anderen Pfeiffe aufregen, vielleicht ist das auch alles nur Polemik … Vielleicht ist Twitter in vielen Bereichen auch kaum mehr als die digitalisierte Personifizierung eines Tourette-Syndrom-Anfalls. Hmm, vermutlich bin ich der wahre Idiot hier. Na dann.

Falls Ihr noch was über Politiker im Netz lesen wollt: Ansgar Heveling wütete einst über digitales Blut.

Mirco Lang

Freier Journalist, Exil-Sauerländer, (ziemlich alter) Skateboarder, Dipl.-Inf.-Wirt, Einzelhandelskaufmann, Open-Source-Nerd, Checkmk-Handbuchschreiber. Ex-Saturn'ler, Ex-Data-Becker'ler, Ex-BSI'ler. Computer-Erstkontakt: ca. 1982 - der C64 des großen Bruders eines Freunds. Wenn Ihr hier mehr über Open Source, Linux und Bastelkram lesen und Tutonaut unterstützen möchtet: Über Kaffeesponsoring via Paypal.freue ich mich immer. Schon mal im Voraus: Danke! Nicht verpassen: cli.help und VoltAmpereWatt.de. Neu: Mastodon

3 Kommentare

  1. Bravo! Danke für diesen Artikel. Genau das richtige am Freitag Abend auf der Couch.

    Was mir noch auffiel – zugegeben, als Nicht-Twitteraner fehlt’s mir an Wissen -, etwas spitzfindig: Die Mails sind alle inhaltlich nicht richtig. Kann man ja nur beurteilen, wenn man sie (ALLE) gelesen hat. Respekt vor dieser geistigen Leistung: E-Mails kommen sekündlich rein und werden dennoch (ALLE) vollständig gelesen, um zu dem Schluss zu kommen, dass sie (ALLE) falsch sind..?

    Genug gesenft

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